Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
2.2.2.1 Grundsatz
Rz. 29
Die einzelnen Bestandteile einer einheitlichen Sache können grundsätzlich nicht Gegenstand einer eigenständigen Lieferung sein (sog. Einheitsprinzip).
Dies folgt bereits aus § 3 Abs. 1 UStG, nach dem Lieferungen nur vorliegen, wenn Verfügungsmacht an einem Gegenstand verschafft wird. Bei der Übertragung einer einheitlichen Sache findet i. d. R. umsatzsteuerlich nur eine Lieferung statt; eine Aufteilung dieses einheitlichen Lieferungsvorgangs in die Lieferung der einzelnen Bestandteile der Sache ist grundsätzlich nicht möglich.
Diese Beurteilung entspricht den zivilrechtlichen Grundsätzen, nach denen Eigentum grundsätzlich nur an der Sache im Ganzen und nicht an ihren einzelnen Bestandteilen übertragen werden kann.
Rz. 30
Im Einzelhandel werden häufig Zusammenstellungen von Waren zu einem einheitlichen Preis verkauft. Die Abgrenzung, ob es sich dabei um eine einheitliche Lieferung (Sachgesamtheit) oder um mehrere Liefergegenstände handelt, ist in der Praxis regelmäßig vor dem Hintergrund eventuell anzuwendender Steuersätze von Bedeutung (z. B. "Überraschungsei" als einheitlich dem ermäßigten Steuersatz unterliegendes Schokoladenprodukt oder als sowohl dem ermäßigtem als auch dem Regelsteuersatz unterliegende Zusammenstellung mehrerer Gegenstände); vgl. dazu ausführlich § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG Rz. 128ff.
2.2.2.2 Besonderheiten
Rz. 31
Abweichungen von diesem Einheitsprinzip lassen Verwaltung und Rechtsprechung nur in wenigen, besonders gelagerten Ausnahmefällen zu:
2.2.2.2.1 Mehrere zivilrechtliche Sachen
Rz. 32
Besteht ein einheitlicher Gegenstand bereits zivilrechtlich aus mehreren selbstständigen Sachen, ist auch umsatzsteuerrechtlich eine Aufteilung des Gegenstands in mehrere Liefergegenstände i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG möglich.
- Gebäude, die aufgrund eines Erbbaurechts errichtet werden, sind wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts, zum Grundstück gehören sie nicht. Grundstück und Erbbaurecht (mit dem errichteten oder ggf. schon bei Bestellung des Erbbaurechts vorhandenen Gebäudes) bilden bürgerlich-rechtlich zwei selbstständige Sachen und können deshalb auch getrennt geliefert werden.
- Ist für ein Grundstück Wohnungs- oder Teileigentum entsprechend den Regeln des WEG begründet, stellt jede Eigentumseinheit zivilrechtlich einen eigenen Gegenstand dar. Umsatzsteuerrechtlich ist deshalb in diesen Fällen jede Eigentumseinheit für sich lieferfähig.
- Gebäude und andere Werke, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden werden, gehören nicht zum Grundstück und gelten zivilrechtlich als eigenständige Sache. Umsatzsteuerlich bilden sie deshalb einen vom Grundstück losgelösten eigenen Lieferungsgegenstand.
2.2.2.2.2 Bauwerke auf fremdem Boden
Rz. 33
Die Finanzverwaltung lässt es bei Bauwerken auf fremdem Boden zu, dass Verfügungsmacht auch an wirtschaftlich abgrenzbaren Teilen eines Bauwerks (z. B. Stockwerk oder Wohnung eines Gebäudes) verschafft werden kann; insoweit nimmt sie also eine Aufteilung der einheitlichen Sache "Gebäude auf fremdem Boden" in mehrere Lieferungsgegenstände hin. Die wirtschaftlich nicht abgrenzbaren Teile eines Bauwerks (z. B. die einzelnen Heizkörper einer einheitlichen Heizungsanlage) sind dagegen nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht selbstständig lieferfähig. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hieraus keine Folgerungen für die umsatzsteuerliche Behandlung der Gebäude auf eigenem Boden gezogen werden dürfen; dort gilt also nach Auffassung der Finanzverwaltung das Einheitsprinzip – bis auf die übrigen hier beschriebenen Ausnahmen – uneingeschränkt.
2.2.2.2.3 Gemischt-genutzte Gegenstände
Rz. 34
Bei einheitlichen Gegenständen, die sowohl zur Ausführung von Umsätzen im unternehmerischen Bereich als auch für nichtunternehmerische Zwecke verwendet werden (sog. gemischt-genutzte Gegenstände), hat der Unternehmer nach Ansicht des EuGH das Wahlrecht, den nichtunternehmerisch genutzten Teil eines Gegenstands seinem Unternehmen zuzuordnen oder nicht. Dieses Wahlrecht ist nicht auf Grundstücke beschränkt, sondern gilt für alle gemischt-genutzten Gegenstände, also auch für Kfz, Computer, Segelyachten, Wohnmobile usw. Der Unternehmer kann diesen gemischt genutzten Gegenstand seinem Unternehmen vollständig, gar nicht oder auch nur teilweise zuordnen. Nach § 15 Abs. 1 S. 2 UStG setzt die vollständige oder teilweise Zuordnung des Gegenstands lediglich voraus, dass der Gegenstand zu mindestens 10 % für die unternehmerischen Zwecke verwendet wird; vgl. dazu auch § 2 UStG Rz. 339ff.
Rz. 35
Die dem Unternehmer vom EuGH eingeräumte Möglichkeit, den nichtunternehmerischen Teil eines gemischt-genutzten Gegenstands seinem Privatvermögen zuzuordnen, hat entscheidende Bedeutung für die Steuerbarkeit der Lieferung derartige...