Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
3.5.1 Allgemeines
Rz. 62
Bei wirtschaftlicher Betrachtung schließen sonstige Leistungen mitunter unselbstständige Lieferungsvorgänge als Nebenleistungen ein. Es kommt auch der umgekehrte Fall vor, dass Lieferungen sonstige Leistungen einschließen. Unselbstständige Nebenleistungen im Rahmen eines einheitlichen wirtschaftlichen Vorgangs liegen vor, wenn sie für den Abnehmer keinen eigenen Zweck darstellen, sondern lediglich das Mittel sind, um die vom Leistenden erbrachte Hauptleistung optimal in Anspruch nehmen zu können. Maßgebend sind die jeweiligen Gesamtumstände des Einzelfalls und die Sicht des Durchschnittsverbrauchers. In bestimmten Fällen – z. B. wenn es um die Bestimmung des Orts der Leistung oder die Gewährung einer Steuerbefreiung geht – ist aus systematischen Gründen auch wichtig, abzugrenzen, ob eine sonstige Leistung zu einer anderen sonstigen Leistung in einem Haupt- und Nebenleistungsverhältnis steht oder ob es sich um jeweils eigenständige Hauptleistungen handelt. Die unselbstständige Nebenleistung teilt nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung. Sie kann daher, wenn die Hauptleistung steuerpflichtig ist, nicht steuerfrei sein; auch ist der Steuersatz bei Haupt- und Nebenleistung nach der Hauptleistung zu bestimmen.
Rz. 62a
Ein Haupt- und Nebenleistungsverhältnis kann nur dann vorliegen, wenn die von dem Unternehmer erbrachte Leistung nicht schon grundsätzlich eine einheitliche Leistung darstellt. Einheitliche Leistungen, die nicht in einzelne selbstständige Leistungen unterteilt werden dürfen, liegen dann vor, wenn sie wirtschaftlich zusammengehören und ein unteilbares Ganzes darstellen. Dabei ist immer auf das Wesentliche des Umsatzes und die Sichtweise eines Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Nicht von entscheidender Bedeutung ist dabei, ob die einzelnen Teile einer Leistung nach einem einheitlichen Vertrag geschuldet werden. Die zwangsweise Koppelung getrennt zu betrachtender Leistungen führt noch nicht automatisch zu einer einheitlichen Leistung.
Es müssen aber immer alle Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden. So hat der BFH – anders als bei Lieferung und Einsaat von Saatgut – entschieden, dass die Lieferung von Pflanzen mit den damit im Zusammenhang stehenden Gartenbauarbeiten eine einheitliche komplexe Leistung darstellt, wenn auf der Grundlage eines Gesamtkonzepts etwas selbstständiges Drittes (Gartenanlage) geschaffen wird. Aber auch umgekehrt kann eine willkürliche Aufspaltung eines einheitlichen wirtschaftlichen Vorgangs – auch bei Zustimmung des Leistungsempfängers – nicht zu verschiedenen Leistungen führen.
Rz. 62b
Ein besonderer Streitfall ergab sich im Zusammenhang mit den sog. "Aufteilungsgeboten". Von einem solchen Aufteilungsgebot wird ausgegangen, wenn eigentlich ein Haupt- und Nebenleistungsverhältnis vorliegt, aber durch gesetzliche Anordnung eine (willkürliche) Aufspaltung bezüglich Steuerfreiheit und Steuerpflicht oder bezüglich des Steuersatzes vorgenommen werden soll. In diesem Zusammenhang musste der EuGH darüber entscheiden, ob bei der Überlassung von Betriebsvorrichtungen i.Z.m. der Vermietung von Immobilien ein Aufteilungsgebot gilt oder nicht. Im Fall der steuerfreien Verpachtung eines Putenstalls war streitig, ob die Überlassung der in dem Stall installierten speziellen Fütterungsanlage als Nebenleistung steuerfrei ist oder aufgrund eines gesetzlichen Aufteilungsgebots nach § 4 Nr. 12 S. 2 UStG umsatzsteuerpflichtig ist. Der EuGH hat – dem Schlussantrag des Generalanwalts folgend – entschieden, dass auch die Vorrichtungen steuerfrei sind, sofern diese Vorrichtungen und Maschinen als Nebenleistung zur Verpachtung des Gebäudes überlassen werden. Der BFH hat dies in der Folge übernommen und festgestellt, dass die vom FG vorgenommene Einschätzung, dass in diesem Fall die Putenfütterungsanlage als Nebenleistung zur Überlassung der Stallanlage anzusehen ist, nicht gegen allgemeine Denkgesetze verstößt. Es gibt aber in diesen Fällen keinen Grundsatz, dass die Überlassung der Betriebsvorrichtung als Nebenleistung zu einer Grundstücksüberlassung anzusehen ist und deshalb steuerfrei sein muss. Eine Überlassung einer Betriebsvorrichtung (ohne dazugehörenden Grundstücksteil) oder die Überlassung einer Betriebsvorrichtung mit Grundstücksteil, bei der aber die Betriebsvorrichtung als die prägende Hauptleistung angesehen werden muss, führt dann zur Annahme eines (einheitlichen) steuerpflichtigen Umsatzes.
Rz. 62c
Auch bei der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei der Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, stellt sich die Frage der Aufteilung von Leistungen in eine dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Übernachtungsleistung und dem Regelsteuersatz unterliegende weitere Leistungen (z. B. Parkplatzvermietung, Frühstücksleistungen, Zugang zum SPA-Bereich). Nachdem der EuGH (Rz. 62b) zur Frage des Aufteilungsgebots be...