Leitsatz
1. Das Kriterium der Haushaltszugehörigkeit in § 10 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG beruht auf einer verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung bzw. Förderung.
2. § 10 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG verstößt jedenfalls dann nicht gegen die Steuerfreiheit des Existenzminimums und den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG), wenn die Betreuungsaufwendungen desjenigen Elternteils, der das Kind nicht in seinen Haushalt aufgenommen hat, durch den ihm gewährten Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (§ 32 Abs. 6 EStG) abgedeckt werden.
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 5, § 24b, § 31, § 32 Abs. 6 EStG, § 4f, § 9 Abs. 5 Satz 1, § 9c, § 10 Abs. 1 Nr. 8, § 33c EStG a.F., Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG
Sachverhalt
Der Kläger ist der Vater einer 2013 geborenen Tochter. Seit 2018 lebte er von der Mutter des Kindes getrennt. Im Streitjahr 2020 überwies die Mutter 250 EUR für den Kindergarten und 348 EUR für den Schulhort. Der zivilrechtlich im Rahmen des Mehrbedarfs zur anteiligen Zahlung von Kindergartenbeiträgen und Hortgebühr verpflichtete Kläger überwies der Mutter jeweils den halben Monatsbeitrag. In seiner ESt-Erklärung gab er deshalb Kinderbetreuungskosten i.H.v. 299 EUR an, die er zu 2/3, d.h. 199 EUR, als Sonderausgaben zum Abzug bringen wollte. Das FA und das FG (Thüringer FG, Gerichtsbescheid vom 1.2.2022, 3 K 210/21, Haufe-Index 15160573) lehnten den Abzug unter Verweis auf die fehlende Haushaltszugehörigkeit des Kindes ab.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Das FG habe den Sonderausgabenabzug einfachrechtlich zu Recht aufgrund der fehlenden Haushaltszugehörigkeit des Kindes verneint. Es bestehe auch kein Anlass zu einer konkreten Normenkontrolle durch das BVerfG, da der Senat nicht davon überzeugt sei, dass § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG im Fall des Klägers ein Eltern- bzw. Familiengrundrecht (Art. 6 GG) oder den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletze.
Hinweis
1. Der Abzug von Aufwendungen für die Fremdbetreuung von Kindern als Sonderausgaben ist nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG nur für Kinder möglich, die entweder das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen Behinderung unfähig sind, sich selbst zu unterhalten.
2. In beiden Fällen ist erforderlich, dass das betreffende Kind zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehört, der den Sonderausgabenabzug beansprucht. Einen Haushalt besitzt jemand dort, wo er allein oder mit anderen eine Wohnung innehat, in der hauswirtschaftliches Leben herrscht, an dem er sich persönlich und regelmäßig auch finanziell beteiligt (BFH, Urteil vom 28.2.2012, III B 54/10, BFH/NV 2012, 1151). Der Steuerpflichtige selbst muss dem Haushalt vorstehen und ihm angehören. Das (gleichbedeutend auch in der Vorschrift des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG verwendete) Kriterium der Haushaltsaufnahme des Kindes ist erfüllt, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen die Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BFH, Urteil vom 24.10.2006, III S 3/06 (PKH), BFH/NV 2007, 238).
Anders als bei § 32 Abs. 6 Sätze 8 und 9 EStG kommt es nicht darauf an, ob das Kind bei dem Steuerpflichtigen gemeldet ist.
3. Trennen sich die Elternteile, sind hinsichtlich des Umgangs mit den Kindern und des von den Eltern zu leistenden Unterhalts verschiedene Grundmodelle möglich, von denen im Einzelfall aber abgewichen werden kann.
Im Residenzmodell ist das Kind in den Haushalt eines Elternteils aufgenommen. Dieser leistet Naturalunterhalt. Der andere Elternteil leistet Barunterhalt für das Kind und hat gegebenenfalls ein Umgangsrecht (z.B. Kind besucht ihn jedes 2. Wochenende).
Im Paritäts,- Wechsel-, Pendel- oder Doppelresidenzmodell ist das Kind in annähernd gleichem Umfang in den Haushalt beider Elternteile aufgenommen (z.B. wöchentlicher Wechsel zwischen Haushalt der Mutter und des Vaters). Beide Eltern leisten Naturalunterhalt. Gegebenenfalls besteht daneben eine Barunterhaltspflicht eines oder beider Elternteile.
Im Nestmodell bleibt das Kind im bisherigen gemeinsamen Haushalt der Elternteile und die Elternteile wechseln jeweils in einen anderen Haushalt (z.B. wöchentlicher Wechsel). Beide Eltern leisten Naturalunterhalt. Gegebenenfalls besteht daneben eine Barunterhaltspflicht eines oder beider Elternteile.
4. Ist das Kind im Falle der Praktizierung des Residenzmodells nicht in den Haushalt des barunterhaltspflichtigen Elternteils aufgenommen, kann dieser den Sonderausgabenabzug auch dann nicht in Anspruch nehmen, wenn er einen Teil der Fremdbetreuungskosten trägt. Unerheblich ist dabei, ob er die Zahlung direkt an den fremdbetreuenden Dritten oder an den anderen Elternteil erbringt und ob er zivilrechtlich verpflichtet ist, die Fremdbetreuungskosten (anteilig) zu...