Prof. Dr. Mark Knüppel, Thomas Schwalm
Rz. 49
Die Zuzugs- und Wegzugsbilanz ist eine steuerliche Sonderbilanz. Der Zuzug ist mit der steuerlichen Verstrickung verbunden. Dies bedeutet, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland am Veräußerungsgewinn des Wirtschaftsguts begründet wird (§ 4 Abs. 1 Satz 8 2. Halbsatz EStG). Der Wegzug wirft die Frage einer Entstrickung, also dem Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts für die Gewinne aus der Nutzung oder der Veräußerung des Wirtschaftsguts, auf (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG). Verstrickung und Entstrickung sind also nicht spiegelbildlich definiert. Eine Entstrickung liegt vor, wenn das Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Für die Verstrickung wird aber nur das Begründen des Besteuerungsrechts genannt. Ein "Verstärken" – spiegelbildlich zum "Beschränken" – des Besteuerungsrechts, bspw. die Überführung eines Wirtschaftsguts aus einer DBA-Anrechnungsbetriebsstätte in das inländische Stammhaus, führt nicht zu einer Verstrickung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 8 2. Halbsatz EStG.
Durch das ATADUmsG werden nun aber auch die Fälle des Verstärkens des deutschen Besteuerungsrechts erfasst, sofern der ausländische Staat eine Entstrickungsbesteuerung vornimmt. In diesen Fällen wird auf Antrag zunächst eine Entnahme angenommen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz) und anschließend eine Einlage fingiert (§ 4 Abs. 1 Satz 9 EStG). Die Entnahme hat eine Besteuerung der stillen Reserven in Deutschland zur Folge.
Für die Entnahme ist der Wert anzusetzen, den der ausländische Staat der Entstrickungsbesteuerung zugrunde gelegt hat, höchstens aber der gemeine Wert, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 2. Halbsatz EStG. Auf den Entnahmegewinn können die ausländischen Steuern unter den Voraussetzungen des § 34 c EStG angerechnet werden.
Als Einlagewert ist entsprechend der Wert anzusetzen, den der ausländische Staat der Entstrickungsbesteuerung zugrunde gelegt hat, höchstens aber der gemeine Wert, § 6 Abs. 1 Nr. 5b EStG.
Können die im Ausland für die Entstrickung gezahlten Steuern in Deutschland vollständig angerechnet werden, ergibt sich keine zusätzliche Ertragsteuerbelastung durch den Antrag, es wird aber in Deutschland zusätzliches Abschreibungspotenzial generiert.
Bei Ent- und Verstrickungssachverhalten sind verschiedene Gesichtspunkte zu unterscheiden:
5.1 Zuzugsbilanz
Rz. 50
Verlegt eine ausländische Kapitalgesellschaft ihre Geschäftsleitung (§ 12 AO) aus einem Drittstaat ins Inland, führt dies nach dem deutschen internationalen Privatrecht dazu, dass diese Gesellschaft im Inland aufgrund der hier geltenden Sitztheorie nicht rechtsfähig ist. Bei einem Zuzug aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums findet hingegen die Gründungstheorie Anwendung. Für die Rechtsfähigkeit kommt es bei der Gründungstheorie darauf an, ob die Gesellschaft in einem anderen Vertragsstaat wirksam gegründet wurde. Die komplexe und umstrittene Verlegung des Sitzes (§ 11 AO) aus dem Inland in das Ausland soll an dieser Stelle nicht behandelt werden.
Für das Entstehen einer unbeschränkten Steuerpflicht im Inland ist eine fehlende Rechtsfähigkeit unbeachtlich. Entscheidend ist, ob die ausländische Gesellschaft nach den Strukturmerkmalen des Rechtstypenvergleichs mit einer Kapitalgesellschaft vergleichbar ist.
Rz. 51
Mit dem Beginn der unbeschränkten Steuerpflicht ist eine steuerliche Eröffnungsbilanz zu erstellen. Die Buchführungspflicht für eine solche Gesellschaft ergibt sich aus § 140 AO. Die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts wird der Einlage gleichgestellt (§ 4 Abs. 1 Satz 8 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG). Es ist zum gemeinen Wert zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Das bedeutet, dass die im Ausland vor dem Zuzug generierten stillen Reserven das deutsche Steuersubstrat nicht erhöhen.
Rz. 52
Verfügte die ausländische Gesellschaft vor ihrem Zuzug ins Inland über eine inländische Betriebstätte (§ 12 AO), war sie vor dem Zuzug in Deutschland beschränkt steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EStG i. V. m. § 2 Abs. 1 KStG). Fraglich ist, ob es durch den Zuzug zu einer Realisierung der stillen Reserven der inländischen Betriebstätte kommt, die dort vor dem Zuzug gebildet wurden.
Gilt die ausländische Gesellschaft durch den Zuzug als aufgelöst, fallen die Wirtschaftsgüter den Anteilseignern an. Dadurch entfällt das deutsche Besteuerungsrecht an den stillen Reserven auf Ebene der ...