Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
N ist Unternehmerin nach § 2 Abs. 1 UStG, da sie selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig ist. Wo ihre Leistungen nach umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften als ausgeführt gelten, hat keinen Einfluss auf die Unternehmereigenschaft. Der Rahmen des Unternehmens umfasst alle Leistungen im Zusammenhang mit ihrer Autorentätigkeit, hier auch den Eigenvertrieb ihrer Bücher. Während der Verkauf gebundener Bücher eine Lieferung darstellt, da in diesem Fall Verfügungsmacht an einen (körperlichen) Gegenstand verschafft wird, stellt der Download eines E-Books eine sonstige Leistung dar.
Für die Leistungen der N muss jeweils der Ort der Leistung geprüft werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich um Lieferungen oder sonstige Leistungen handelt. Seit dem 1.7.2021 müssen allerdings wegen der einheitlichen Umsatzschwelle für innergemeinschaftliche Fernverkäufe und auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistungen die Umsätze summenmäßig zusammen betrachtet werden.
Die Lieferungen der Bücher sind Versendungslieferungen, da davon ausgegangen werden kann, dass N die Bücher zu den Kunden (gemäß Sachverhalt nichtunternehmerisch tätige Personen) versendet. Diese Lieferungen sind dort ausgeführt, wo die Warenbewegung beginnt. Allerdings könnte sich der Ort der Lieferung bei der Versendung an die Kunden in den anderen Mitgliedstaaten in die Bestimmungsmitgliedstaaten verlagern, wenn die Voraussetzungen für innergemeinschaftliche Fernverkäufe nach § 3c UStG erfüllt sind. Da N die Gegenstände in andere Mitgliedstaaten versendet und die Kunden Nichtunternehmer sind, sind die Voraussetzungen des § 3c Abs. 1 UStG erfüllt. Eine Ausnahme kann nur dann in Betracht kommen, wenn die unionseinheitliche Umsatzschwelle von 10.000 EUR nach § 3c Abs. 4 i. V. m. § 3a Abs. 5 UStG im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überschritten wurde und auch bisher im laufenden Kalenderjahr (hier 2022) nicht überschritten wurde.
Umsatzschwelle erfasst Lieferungen und sonstige Leistungen
Bei der Prüfung der unionseinheitlichen Umsatzschwelle sind alle innergemeinschaftlichen Fernverkäufe nach § 3c Abs. 1 UStG und die sonstigen Leistungen des § 3a Abs. 5 Satz 2 UStG mit einzubeziehen. Die Umsatzschwelle von 10.000 EUR gilt nicht pro Land, sondern summarisch für alle diese Leistungen an die in den Vorschriften genannten Personen (i. d. R. Nichtunternehmer bzw. ohne USt-IdNr. auftretende Leistungsempfänger) in allen anderen Mitgliedstaaten.
Die Umsatzschwelle ist in 2021 mit Leistungen von insgesamt 9.000 EUR (Leistungen für 7.000 EUR an Kunden in Österreich, 2.000 EUR an Kunden in Italien) nicht überschritten worden. N könnte zwar auf die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 3c Abs. 4 UStGverzichten, davon ist hier nach den Sachverhaltsangaben nicht auszugehen. Damit verlagert sich der Ort der Lieferungen nicht nach Österreich und Italien. Die (ersten) Lieferungen in 2022 sind damit dort ausgeführt, wo die Versendung beginnt (Inland nach § 1 Abs. 2 UStG). Die Lieferungen sind damit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG im Inland steuerbar und auch nicht steuerbefreit. N muss für die Lieferung der Bücher den ermäßigten Steuersatz von 7 % berechnen und bei ihrem zuständigen Finanzamt anmelden. Sie schuldet die Umsatzsteuer nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG.
Umsatzschwelle kann unterjährig überschritten werden
Wenn N aber in 2022 mit den Lieferungen der Bücher an Nichtunternehmer in anderen Mitgliedstaaten zuzüglich der Downloads der E-Books von Nichtunternehmern aus anderen Mitgliedstaaten die unionseinheitliche Umsatzschwelle von 10.000 EUR überschreitet, ist die Leistung, mit der die Schwelle von 10.000 EUR überschritten wird, die erste Leistung (Lieferung oder elektronische Dienstleistung), deren Ort sich in den Bestimmungsmitgliedstaat verlagert. Es entsteht dann die dort geltende Umsatzsteuer und die Steuer muss entweder durch eine individuelle Veranlagung in den Bestimmungsmitgliedstaaten oder über die One-Stop-Shop-Regelung für den jeweiligen Mitgliedstaat besteuert werden.
Der Ort der sonstigen Leistung (Download der E-Books) bestimmt sich – da davon ausgegangen werden kann, dass die Käufer nicht als Unternehmer handeln – vorrangig nach § 3a Abs. 5 UStG. Der Ort der sonstigen Leistung verlagert sich dabei in den Bestimmungsmitgliedstaat, wenn die unionseinheitliche Umsatzschwelle überschritten ist. Da – wie bei den Lieferungen ausgeführt – die Umsatzschwelle in 2021 und offensichtlich auch bisher in 2022 nicht überschritten wurde, verlagert sich der Ort der auf elektronischem Weg erbrachten Leistungen nicht nach Österreich oder Italien. Der Ort der Leistung bestimmt sich dann nach der B2C-Grundregelung des § 3a Abs. 1 UStG und ist dort, wo die leistende Unternehmerin N ihr Unternehmen betreibt – im Inland i. S. d. § 1 Abs. 2 UStG. Die auf elektronischem Weg erbrachten Leistungen sind damit im Inland nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar und steuerpflichtig.
Umsatzschwelle einheitlich prüfen
Auch hier würde ...