BMF, Schreiben v. 20.12.2010, IV C 1 - S 2256/07/10001 :006, BStBl I 2011, 14
Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7.7.2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (BStBl 2011 II S. S. XX)
Bezug: TOP 3 der ESt VI/2010
Mit o.g. Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) gesetzlich normierte Verlängerung der Frist von zwei auf zehn Jahre für die Veräußerung von Wirtschaftsgütern i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG als solche grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.
Auch soweit die früher geltende zweijährige Veräußerungsfrist im Zeitpunkt der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.3.1999 noch nicht abgelaufen war, begegnet ihrer Verlängerung nach Ansicht des BVerfG keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei zu vereinnahmen, keine vertrauensrechtlich geschützte Position begründet.
Die Anwendung der verlängerten Veräußerungsfrist ist jedoch insoweit verfassungswidrig, als mit der Neuregelung Wertzuwächse besteuert werden, die bis zum Zeitpunkt der Verkündung der Gesetzesänderung am 31.3.1999 eingetreten sind und die nach Maßgabe der zuvor geltenden Rechtslage hätten steuerfrei realisiert werden können.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gelten für die Anwendung des Beschlusses des BVerfG die folgenden Grundsätze:
I. Veräußerungsgeschäfte vor dem 1.4.1999
Der Gewinn aus einem Veräußerungsgeschäft bei einem Wirtschaftsgut i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, bei dem die Veräußerung auf einem nach dem 31.12.1998 und vor dem 1.4.1999 rechtswirksam abgeschlossenen obligatorischen Vertrag oder gleichstehenden Rechtsakt beruht, ist nicht steuerbar, wenn die für dieses Veräußerungsgeschäft bis zur Gesetzesänderung geltende zweijährige Veräußerungsfrist abgelaufen war.
II. Veräußerungsgeschäfte nach dem 31.3.1999 und abgelaufener Zweijahresfrist
Erfolgt die Veräußerung eines Wirtschaftsgutes i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auf der Grundlage eines nach dem 31.3.1999 rechtswirksam abgeschlossenen Vertrags oder gleichstehenden Rechtsakts und war für diese Veräußerung die vor der Gesetzesänderung geltende zweijährige Veräußerungsfrist bereits vor dem 1.4.1999 abgelaufen, ist der Veräußerungsgewinn in einen Anteil für den bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 entstandenen nicht steuerbaren Wertzuwachs und in einen Anteil für den nach der Verkündung dieses Gesetzes entstandenen steuerbaren Wertzuwachs aufzuteilen.
Auf in diesen Fällen entstandene Veräußerungsverluste findet der Beschluss des BVerfG vom 7.7.2010 keine Anwendung. Die Veräußerungsverluste sind ohne Aufteilung bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen.
II.1. Vereinfachungsregelung
Regelmäßig ist der Umfang des steuerbaren Wertzuwachses entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31.3.1999 im Vergleich zur Gesamtbesitzzeit linear (monatsweise) zu ermitteln. Angefangene Monate der Gesamtbesitzzeit werden aus Vereinfachungsgründen aufgerundet. Angefangene Monate der Besitzzeit nach dem 31.3.1999 werden abgerundet. Einer anteiligen Zuordnung der nach § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften abziehbaren Werbungskosten bedarf es nicht.
Beispiel 1:
Anschaffung eines unbebauten Grundstückes mit notariellem Kaufvertrag vom 15.1.1997 für 100.000 DM. Veräußerung mit notariellem Kaufvertrag am 3.8.1999 für 150.000 DM.
Lösung:
Die Gesamtbesitzzeit für das unbebaute Grundstück beträgt 30 volle und einen angefangenen Monat = aufgerundet 31 Monate. Auf den Zeitraum 31.3.1999 bis 3.8.1999 entfallen vier volle Monate und ein angefangener Monat = auf volle Monate abgerundet. Der Wertzuwachs von 50.000 DM für das unbebaute Grundstück ist zu einem Anteil von 4/31 = 6.452 DM bei der Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigen.
II.2. Aufteilung nach den tatsächlichen Wertverhältnissen
a) Günstigerregelung für den Steuerpflichtigen
Die Vereinfachungsregelung findet auf Antrag des Steuerpflichtigen keine Anwendung, wenn dieser einen tatsächlich höheren Wertzuwachs für den Zeitraum zwischen der Anschaffung des Wirtschaftsgutes i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG und dem Zeitpunkt der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 nachweist.
Beispiel 2:
Anschaffung eines unbebauten Grundstückes von 1.000 qm mit notariellem Kaufvertrag vom 15.1.1997 für 10.000 DM. Im Januar 1999 wird das Grundstück als Bauland ausgewiesen. Der übliche Baulandpreis beträgt zum 1.1.1999 50 DM/qm. Veräußerung mit notariellem Kaufvertrag am 3.8.1999 für 55.000 DM.
Lösung:
Nach der Vereinfachungsregelung wären 4/31 von 45.000 DM = 5.806 DM als steuerbarer Wertzuwachs zu qualifizieren. Beantragt der Steuerpflichtige die Berücksichtigung des tatsächlichen Wertzuwachses und weist er den Zeitpunkt der Baulandreife und den ortsüblichen Baulandpreis nach, unterliegt lediglich ein Wertzuwachs von 5.000 DM ...