Leitsatz
1. Bei einem Aktienerwerb fließt dem Arbeitnehmer der geldwerte Vorteil in dem Zeitpunkt zu, in dem der Anspruch auf Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Aktien erfüllt wird.
2. Dem Zufluss steht es nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Sperr- bzw. Haltefrist die Aktien für eine bestimmte Zeit nicht veräußern kann. Der Erwerber ist rechtlich und wirtschaftlich bereits von dem Augenblick an Inhaber der Aktie, in dem sie auf ihn übertragen oder auf seinen Namen im Depot einer Bank hinterlegt wird.
3. Der geldwerte Vorteil fließt dem Arbeitnehmer auch dann mit der Verschaffung der Verfügungsmacht zu, wenn die Aktien unter der auflösenden Bedingung einer Rückzahlungsverpflichtung (§ 158 Abs. 2 BGB) überlassen werden und diese Bedingung eintritt (sog. Istprinzip).
Normenkette
§ 38a Abs. 1 S. 3, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1 S. 3, jetzt S. 4, § 8 Abs. 1 EStG, § 68 Abs. 2 AktG, § 158 Abs. 2 BGB, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Der Kläger nahm als Arbeitnehmer an einem Mitarbeiterbeteiligungsprogramm seines Unternehmens (einer AG) teil. Er erhielt von der AG im Jahr 1999 eine bestimmte Anzahl von Wandelschuldverschreibungen, die ihn zum verbilligten Erwerb von Aktien berechtigten. Aufgrund einer Verfallklausel war der Arbeitnehmer für den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur Rückübertragung bereits gewandelter Aktien verpflichtet.
Der Kläger wandelte die Wandelschuldverschreibungen bereits im Jahr 1999 in Aktien um. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde im Streitjahr 2000 aufgelöst, das Unternehmen verzichtete aber zugunsten des Klägers auf Rückübertragung eines Teils der Aktien.
Das FA nahm den Zufluss des geldwerten Vorteils im Streitjahr 2000 an, zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber des Klägers auf die Rückübertragung der Aktien verzichtete. Der Kläger hielt eine Besteuerung des (weitaus geringeren) geldwerten Vorteils im Zeitpunkt der Wandlung der Anleihen in Aktien im Jahr 1999 für zutreffend.
Das FG gab der Klage statt (FG Köln, Urteil vom 21.09.2005, 11 K 276/04, Haufe-Index 1454358, EFG 2006, 44). Im Streitjahr 2000 sei kein geldwerter Vorteil aus dem bezeichneten Vorgang anzusetzen.
Entscheidung
Die Revision des FA blieb ohne Erfolg. Das FG habe zu Recht entschieden, dass der nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch Vorstandsbeschluss erklärte Verzicht auf Rückübertragung der streitbefangenen Aktien im Streitjahr 2000 nicht zu Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit führe. Zwar habe der Kläger durch die verbilligte Überlassung der Aktien Einnahmen aus nicht selbstständiger Arbeit. Diese seien ihm aber nicht im Streitjahr, sondern bereits im Jahr 1999 zugeflossen, und zwar im Zeitpunkt der Umwandlung der Wandelschuldverschreibungen. Der Umstand, dass der Kläger die Aktien behalten dürfe, führe im Streitjahr 2000 nicht zu einem (erneuten) Lohnzufluss.
Hinweis
1. Bereits mehrfach hat der BFH entschieden, dass durch Umwandlung einer vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eingeräumten Wandelschuldverschreibung in Aktien steuerpflichtiger Arbeitslohn zufließt. Dieser fließt mit der Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht an den Aktien zu (z.B. BFH, Urteile vom 23.06.2005, VI R 124/99, BFH/NV 2005, 1702, BFH/PR 2005, 367; VI R 10/03, BFH/NV 2005, 1706, BFH/PR 2005, 368; vom 20.06.2001, VI R 105/99, BFH/NV 2001, 1185, BFH/PR 2001, 336).
2. Als Verfallsklauseln werden – unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung – alle Bestimmungen eines Aktienoptionsplans bezeichnet, die das Entfallen der Optionen oder die Verpflichtung zur Rückgewähr der erworbenen Aktien oder des erzielten Gewinns beinhalten. Denkbar sind etwa auflösende Bedingungen i.S.d. § 158 BGB oder schuldrechtlich vereinbarte Verpflichtungen zur Rückgewähr.
Derartige Verfallklauseln stehen der Annahme des Zuflusses des geldwerten Vorteils bei Umwandlung (hier) einer Anleihe in Aktien nicht entgegen. Eine mögliche Rückzahlungsverpflichtung hindert den Zufluss der Einnahme nicht, da der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht zunächst erlangt. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Behaltendürfen kein Merkmal einer Einnahme (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 04.05.2006, VI R 17/03, BFH/NV 2006, 1744, BFH/PR 2006, 387).
Eine durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses ausgelöste Rückerstattungsverpflichtung führt auch nicht als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO nachträglich zur Beseitigung der im Zeitpunkt der Umwandlung angenommenen Vermögensmehrung (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH, Urteil vom 04.05.2006, VI R 17/03, BFH/NV 2006, 1744, BFH/PR 2006, 387).
3. Letztlich weist der BFH nochmals darauf hin, dass der Annahme des Zuflusses auch nicht entgegensteht, dass der Arbeitnehmer aufgrund einer Sperr- bzw. Haltefrist die Aktien für eine bestimmte Zeit nicht veräußern kann. Denn der Erwerber der Aktien ist rechtlich und wirtschaftlich bereits von dem Augenblick an Inhaber der Aktie, in dem sie auf ihn übertragen oder auf seinen Namen im Depot...