LfSt Niedersachsen, Schreiben vom 8.3.2021, S 7181 - 22 - St 181
I. Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG für Umsätze vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2019:
Allgemeines
§ 4 Nr. 23 UStG gilt nicht für Leistungen der Jugendhilfe nach dem Sozialgesetzbuch VIII. Diese in § 2 Abs. 2 SGB VIII aufgeführten Leistungen sowie die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII sind nur unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 25 UStG steuerbefreit.
Begünstigte Unternehmer/Weitere Voraussetzungen
Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG (In der Fassung vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2019) kommt nur für Unternehmer in Betracht, die Einrichtungen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendbetreuung oder der Kinder- und Jugenderziehung im Sinne des Artikels 132 Abs. 1 Buchstabe h oder i MwStSystRL unterhalten. Begünstigt können danach sowohl Einrichtungen des öffentlichen Rechts als auch vergleichbare privatrechtliche Einrichtungen sein. Die hiernach erforderliche Anerkennung einer Einrichtung kann nach der Rechtsprechung insbesondere aus der Kostenübernahme oder aus einer formalen Anerkennung durch staatliche Einrichtungen abgeleitet werden (Abschnitt 4.23.1 Abs. 2 Sätze 8 und 9 UStAE, BFH-Urteil vom 26. November 2014, XI R 25/13 (Reiterhof)).
Weitere Voraussetzung ist, dass überwiegend Jugendliche (bis zum Alter von 27 Jahren) zu Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecken aufgenommen werden. „Aufnahme” in diesem Sinne setzt ein Obhuts- und Betreuungsverhältnis, jedoch nicht unbedingt Unterkunft über Nacht voraus. Bei der Prüfung der „überwiegenden” Aufnahme von Jugendlichen ist jede Einrichtung, die organisatorisch abgrenzbar ist (Schule, Bildungszentrum, Tagungszentrum usw.), getrennt zu beurteilen. Im Fall von Beherbergungsleistungen ist dabei auf die Zahl der gewährten Übernachtungen abzustellen (BFH vom 7. Juli 1960, V 282/57 U, BStBl 1960 III S. 396).
Die Erziehungs-, Ausbildungs- und Fortbildungszwecke umfassen die gesamte geistige, sittliche und körperliche Erziehung, Ausbildung oder Fortbildung von Jugendlichen, ggf. auch Sportlehrgänge (Abschnitt 4.23.1 Abs. 4 UStAE).
Eine bestimmte Aufnahmedauer ist nicht vorgeschrieben, sie muss aber solange andauern, dass der im Gesetz vorausgesetzte Erziehungszweck erreicht werden kann. Der BFH hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 1963 (V 102/61 U, BStBl 1964 III S. 110) eine fünfstündige Aufnahme von Schülern an allen Schultagen in der Arbeits- und Freizeit als ausreichend erachtet. Abzugrenzen ist die Aufnahme zu Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecken jedoch von Leistungen der Beherbergung und Beköstigung während eines kurzfristigen Urlaubsaufenthalts oder Fahrten mit Freizeitangebot und Freizeitgestaltung. So hat der BFH z.B. die Durchführung von Kanutouren für Schulklassen als steuerpflichtige Leistung beurteilt, weil mangels Gesamtverantwortung des Unternehmers weder eine „Aufnahme” von Jugendlichen vorlag, noch der Erziehungszweck erfüllt wurde (BFH vom 12. Mai 2009, V R 35/07, BStBl 2009 II S. 1032). Etwaige Erziehungsleistungen durch den Unternehmer waren aufgrund des Ablaufs und der kurzen Dauer des Aufenthalts von untergeordneter Bedeutung. In seinem Urteil vom 30. Juli 2008 (V R 66/06, BStBl 2010 II S. 507), bei dem es um die Beherbergung und Beköstigung von Kindern und Jugendlichen auf einem Ferienbauernhof ging, hat der BFH entsprechend entschieden.
Die Leistungen sind nur steuerfrei, wenn dem Unternehmer selbst die Erziehung, Ausbildung oder Fortbildung der aufgenommenen Kinder und Jugendlichen obliegen. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass er diese Leistungen allein erbringt. Die bloße Bewirtung und Beköstigung stellt keine Aufnahme zu dem begünstigten Zweck dar. Das gilt auch für derartige Leistungen von Schulfördervereinen, wenn diese die Kinder nicht bei sich aufnehmen und selbst keine Erziehungs- oder Ausbildungsleistungen erbringen (BFH vom 12. Februar 2009, V R 47/07, BStBl 2009 II S. 677 (s. a. Rundverfügung OFD Hannover vom 24. August 2009, Az. S 7179 – 74 – StO 181)).
Begünstigte Leistungen
Unter die Steuerbefreiungsvorschrift fallen neben der Gewährung von Unterkunft und Beköstigung auch die damit zusammenhängenden „übliche Naturalleistungen”, wie z.B. die Beaufsichtigung von Hausarbeiten oder Freizeitangebote (Sport, Spiele, Basteln), soweit die Leistungen an die Jugendlichen bzw. das Erziehungs-, Pflege- bzw. Hilfspersonal erbracht werden (§ 4 Nr. 23 Sätze 1u. 3 UStG).
Unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 23 UStG sind diese Leistungen einschließlich der Erziehungs-, Ausbildungs- und Fortbildungsleistungen als einheitliche Leistung steuerfrei (Abschnitt 4.23.1 Abs. 3 Satz 4 UStAE).
II. Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG für Umsätze ab 1. Januar 2020:
Die vollständige Neufassung des § 4 Nr. 23 UStG mit Wirkung vom 1. Januar 2020 (Art. 12 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer Vorschriften („Jahressteuergesetz 2019”)) dient der Umsetzung der korrespondierenden Steuerbefreiungen nach A...