Leitsatz
1. Tritt der Steuerpflichtige aufgrund eines förmlichen Bestellungsakts nach außen für eine juristische Person des öffentlichen Rechts als deren Vertreter im Aufsichtsrat einer kommunalen Gesellschaft auf, ist er im Auftrag der juristischen Person des öffentlichen Rechts tätig.
2. Die Steuerbefreiung der Tätigkeit im Dienst oder im Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts hat keine weiteren Voraussetzungen; sie muss insbesondere nicht gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke fördern.
Normenkette
§ 3 Nr. 26a, § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG
Sachverhalt
Der Kläger, im Hauptberuf Rechtsanwalt, war aufgrund eines Stadtratsbeschlusses von seiner Stadt in den Aufsichtsrat einer kommunalen GmbH entsandt. An der GmbH war neben anderen Kommunen die Stadt beteiligt. Die GmbH nahm die kommunale Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung wahr. Für seine Tätigkeit als Aufsichtsrat erhielt der Kläger im Streitjahr eine "Aufwandsentschädigung" von 620 EUR. Die Höhe der Entschädigung war in einer städtischen Satzung festgelegt. Zahlung leistete die GmbH. Das FA erfasste die Entschädigung unter Abzug der durch die Tätigkeit veranlassten Aufwendungen als steuerpflichtige Einkünfte. Das FG hat die Steuerfreiheit der Entschädigung bejaht und der Klage insoweit stattgegeben (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2020, 9 K 9167/17, Haufe-Index 14431587, EFG 2021, 825).
Entscheidung
Die dagegen gerichtete Revision des FA war erfolglos. Der BFH hat das FG-Urteil im Ergebnis bestätigt. Die Entschädigung für die nebenberufliche, ehrenamtliche Tätigkeit als Aufsichtsrat in der Wasserwerk-GmbH war steuerfrei; damit zusammenhängende Aufwendungen können nach § 3c EStG nicht abgezogen werden.
Hinweis
Der Besprechungsfall betrifft im Schwerpunkt die Auslegung von § 3 Nr. 26a EStG. Es finden sich aber auch Aussagen zu § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG.
1. Die Tätigkeit als Aufsichtsrat in einer kommunalen Gesellschaft (hier: GmbH) erfüllt, auch wenn sie ehrenamtlich und nebenberuflich ausgeübt und nur mit einer Entschädigung aufgrund einer gemeindlichen Satzung entgolten wird, den Tatbestand des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Entscheidend ist, dass eine überwachende Tätigkeit entfaltet wird. Das Merkmal ist weit auszulegen. Es genügt, wenn die Tätigkeit im Außenverhältnis, also gegenüber der Gesellschaft eigenverantwortlich ausgeübt wird. Ob im Innenverhältnis zur Gesellschafterin, die den Aufsichtsrat entsendet, eine Weisungsbefugnis besteht, ist unerheblich.
2. Bei der Anwendung von § 3 Nr. 26a EStG behandelt der BFH vor allem zwei Fragen:
a) Noch nicht abschließend geklärt ist zum einen, unter welchen Voraussetzungen jemand "im Auftrag" einer juristischen Person des öffentlichen Rechts tätig wird. Der BFH hat eine begriffliche (definitorische) Klärung auch im Besprechungsfall vermieden und stattdessen lediglich ausgeführt, eine Tätigkeit "im Auftrag" sei jedenfalls anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige als Vertreter der Kommune tätig wird. Kurz: Wer Vertreter ist, handelt im Auftrag. Grundlage für den Auftrag kann – wie im Streitfall – auch ein förmlicher Bestellungsakt sein. Diese offene Formulierung schließt auch ein öffentlich-rechtliches Auftragsverhältnis ein (hier: Beschluss des Stadtrats). Auf den genauen Inhalt des Auftrags kommt es nicht an.
b) Fraglich war zum anderen, ob sich der Zusatz "zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke" auch auf die Tätigkeit im Dienst oder Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bezieht oder nur auf die Tätigkeit im Dienst oder Auftrag einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG fallenden Einrichtung. Der BFH hat die Frage klar verneint (Leitsatz 2). Die Tätigkeit im Dienst oder Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts muss keine weiteren qualifizierenden Merkmale erfüllen. Das betrifft sowohl den Betrieb der kommunalen Gesellschaft, in dem der Steuerpflichtige für die Kommune tätig wird, als auch die vom Steuerpflichtigen selbst entfaltete Auftragstätigkeit. Hintergrund war im Streitfall, dass die Trinkwasserversorgung, anders als die Abwasserentsorgung, nach der Rechtsprechung des BFH eine gewerbliche Tätigkeit ist. Wäre Voraussetzung für die Steuerbefreiung, dass die unterstützte Tätigkeit gemeinnützig sein muss, hätte möglicherweise anders entschieden werden müssen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.5.2024 – VIII R 9/21