Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Bestellung eines Nießbrauchs an einem Grundstück entweder eine steuerbare und steuerpflichtige Lieferung i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Buchst. b oder ein Vermietungs- und Verpachtungsumsatz i.S.v. Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie sein kann, der nach Art. 13 Teil C Buchst. a der 6. EG-Richtlinie optionsfähig ist.
Entscheidung
Nach dem Urteil können die Mitgliedstaaten, wenn sie sich dafür entscheiden, dingliche Rechte, die ihrem Inhaber ein Nutzungsrecht an Grundstücken geben, i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Buchst. b als (körperlichen) Gegenstand einer Lieferung zu behandeln, dies unter der Bedingung regeln, dass das Entgelt für den Umsatz zuzüglich der Mehrwertsteuer mindestens dem wirtschaftlichen Wert des Grundstücks entspricht, auf das sich diese Rechte beziehen. Die Mitgliedstaaten können von den in Art. 5 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie eingeräumten Wahlmöglichkeiten freien Gebrauch machen. Sie können auch bestimmte Bedingungen festlegen, wenn diese die Natur der Wahlmöglichkeit nicht grundlegend verändern. Dementsprechend war es den Niederlanden gestattet, eine Nießbrauchsbestellung nur unter der Voraussetzung als Lieferung eines Gegenstands anzuerkennen, dass das vereinbarte Entgelt eine Mindesthöhe hat (Anschaffungskosten des Grundstücks). Die Entscheidung hat für das deutsche Recht insoweit keine Bedeutung, weil der deutsche Gesetzgeber von Art. 5 Abs. 3 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie keinen Gebrauch gemacht hat.
Der EuGH hat des Weiteren entschieden, dass die Bestellung eines Nießbrauchs an einem Grundstück gleichzusetzen ist mit einer Vermietungs- bzw. Verpachtungsleistung und dass die Bestellung des Nießbrauchs somit ebenfalls gem. Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie steuerfrei ist bzw. für die Bestellung des Nießbrauchs gem. Art. 13 Teil C Buchst. a der 6. EG-Richtlinie zur Steuerpflicht optiert werden kann. Der EuGH begründet dies damit, dass die 6. EG-Richtlinie die Begriffe Vermietung und Verpachtung nicht definiert und auch nicht auf ihre jeweilige Definition in den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verweist. Gleichwohl entsprechen die Bestimmungen in Art. 13 Teil B eigenständigen Begriffen des Gemeinschaftsrechts. Denn nur so ist sichergestellt, dass die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel einheitlich nach Gemeinschaftsregeln festgelegt werden kann. Insoweit hat der EuGH die Auffassung der Kommission zurückgewiesen, dass es für den Vermietungs- bzw. Verpachtungsbegriff auf die einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ankäme. Nach der Entscheidung fällt die Einräumung eines Nießbrauchs im Ergebnis unter die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie. Die Mitgliedstaaten haben dann immer noch die Möglichkeit, in bestimmten Fällen die Steuerbefreiung zu versagen, und zwar im Wege der Optionsregelung (Art. 13 Teil C der Richtlinie) oder durch eine besondere Ausnahmebestimmung (Art. 13 Teil B Buchst. b letzter Unterabsatz der Richtlinie).
Der Gerichtshof ist im Ergebnis der Auffassung der Bundesregierung in dem Verfahren gefolgt. Der Entscheidung ist zuzustimmen, obwohl es zwischen Vermietung und Verpachtung einerseits und der Bestellung eines Nießbrauchs andererseits durchaus zivilrechtliche Unterschiede gibt. Diese Unterschiede rechtfertigen aber nicht eine unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Behandlung im Hinblick auf die Steuerbefreiung. Maßgeblich ist allein die tatsächliche Möglichkeit des Berechtigten, eine fremde Sache gegen Entgelt zu nutzen. Wenn ein Nießbrauchsberechtigter ein Grundstück zu Wohnzwecken nutzt, unterscheidet er sich damit praktisch nicht von einem Mieter. Eine unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung von Vermietung und Nießbrauch hätte auch Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet und damit letztlich zu Ergebnissen geführt, die mit dem Neutralitätsprinzip der Mehrwertsteuer nicht zu vereinbaren wären. So könnte ein Unternehmer - bei angenommener Steuerpflicht des Nießbrauchs - für die Errichtung eines Gebäudes auch dann den Vorsteuerabzug geltend machen, wenn das Gebäude von einem Angehörigen zu Wohnzwecken genützt würde. Im Fall der Vermietung wäre der Vorsteuerabzug dagegen ausgeschlossen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 04.10.2001, C-326/99
(Stichting Goed Wonen)