Leitsatz
1. Grundlage für die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren nach §§ 174ff. InsO ist der gem. §§ 16ff. UStG berechnete Steueranspruch für das Kalenderjahr. Im Jahr der Insolvenzeröffnung ist die anzumeldende Steuer für den Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung zu berechnen.
2. Die Steuerberechnung gem. §§ 16ff. UStG unterliegt weder den Beschränkungen der Insolvenzaufrechnung noch denen der Insolvenzanfechtung.
3. Werden zur Insolvenztabelle angemeldete Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ohne Widerspruch in die Tabelle eingetragen, kommt der Eintragung dieselbe Wirkung wie der beim Bestreiten vorzunehmenden Feststellung gem. § 185 InsOi.V.m. § 251 Abs. 3 AO zu und kann wie diese unter den Voraussetzungen des § 130 AO geändert werden.
Normenkette
§§ 174, 178, 185 InsO, §§ 16ff. UStG, Art. 18 Abs. 4 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Das FA meldete zur Insolvenztabelle für das Jahr der Insolvenzeröffnung 2006 USt-Forderungen für Juni bis August an, die in die Tabelle eingetragen wurden. 2007 reichte der Insolvenzverwalter eine Umsatzsteuererklärung für 2006 ein, die zu einer geringeren Steuer führte. Das FA, das zunächst zugestimmt hatte, lehnte eine Änderung unter Hinweis auf die Rechtskraftwirkung der unwidersprochenen Tabelleneintragung und fehlender Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme (§ 134 FGO) ab. Das FG (Sächsisches FG vom 9.6.2010, 8 K 1573,09, Haufe-Index 2688942) stützte sich auf die Zustimmung und gab der Klage statt.
Entscheidung
Die Revision des Klägers führte zur Zurückverweisung. Das FA hatte das Vorliegen eines Ermessensspielraumes verkannt. Die Ermessensentscheidung muss es wegen der beschränkten Prüfungsmöglichkeit der Gerichte selbst nachholen. Dabei wird es grundsätzlich als Rechtsfehler auch die neue Rechtsprechung berücksichtigen, wonach bei Insolvenzeröffnung nicht nur die bis dahin noch nicht entrichteten Entgelte für bezogene Leistungen, sondern auch die bis dahin noch nicht vereinnahmten Entgelte für erbrachte Leistungen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich werden.
Hinweis
1. Insolvenzforderungen dürfen nicht durch Steuerbescheid festgesetzt, sondern müssen zur Tabelle angemeldet werden. Als Insolvenzforderung anzumeldende Umsatzsteuer ist die Umsatzsteuer für den jeweiligen Besteuerungszeitraum. Bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts besteht trotz Unternehmenseinheit das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Zu unterscheiden ist der Unternehmensteil bis zur Insolvenzeröffnung und der danach sowie ggf. der insolvenzfreie Unternehmensteil. Im Jahr der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist für den vorinsolvenzrechtlichen "Unternehmensteil" der Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung maßgeblich.
2. Grundlage für die Steuerberechnung für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil sind die Steueransprüche aus den einzelnen Umsätzen und die damit zusammenhängenden Vorsteuerbeträge und Berichtigungen soweit keine Masseverbindlichkeit – z.B. gem. § 55 Abs. 2 InsO – vorliegt. Diese sind jedoch nur unselbstständige Berechnungsgrundlagen für die den jeweiligen Besteuerungszeitraum (Kalenderjahr oder im Jahr der Insolvenzeröffnung der abgekürzte Zeitraum) betreffende und hierfür zu berechnende Umsatzsteuer (§ 16 Abs. 2 und 3 und § 18 Abs. 3 UStG). Denn die einzelnen (positiven oder negativen) Besteuerungstatbestände dürfen – nicht anders als in einem Umsatzsteuerbescheid – nur (und müssen) für den betreffenden Besteuerungszeitraum berechnet und nur der Saldo dort festgesetzt werden. Entsprechendes gilt für die Anmeldung zur Insolvenztabelle. Eine Aufrechnung gegen die oder mit der auf einzelne Besteuerungstatbestände entfallende(n) und in den Saldo für den Besteuerungszeitraum einzustellende "Steuerschuld" ist – ebenso wie bei einem Umsatzsteuerbescheid -- nicht möglich.
3. Anzumelden ist die Steuer für das Kalenderjahr oder die Steuer für den abgekürzten Besteuerungszeitraum bis zur Insolvenzeröffnung. Eine gesonderte Forderungsanmeldung i.S.v. § 174 InsO für einzelne Voranmeldungszeiträume ist jedenfalls nicht erforderlich, da diesen im Verhältnis zur Jahressteuerberechnung in verfahrens- und in materiell-rechtlicher Hinsicht grundsätzlich nur vorläufiger Charakter zukommt.
4. Wird der Eintragung zur Tabelle nicht widersprochen, wirkt diese für die festgestellte Forderung nach § 178 Abs. 3 "wie ein rechtskräftiges Urteil". Das rechtskräftige Urteil "an und für sich" gibt es nicht, sondern nur Urteile über einen konkreten Streitgegenstand. Das ist bei bürgerlich-rechtlichen Ansprüchen, die auf einen bestimmten Rechtsgrund (Miete, Kreditvertrag etc.) gestützte Forderung in der bezifferten Höhe. Im Steuerrecht bezieht sich die Rechtskraft auf den Streitgegenstand des Verfahrens (§ 110 FGO). Wird eine angemeldete Steuerforderung bestritten, erlässt das FA nach § 251 Abs. 3 AO zunächst einen Feststellungsbescheid; über diesen...