Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Steht fest, dass ein innergemeinschaftliches Verbringen gemäß § 3 Abs. 1a UStG vorliegt, bedarf es keines weiteren Nachweises der materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit dieses "Umsatzes".
Sachverhalt
Der Kläger betrieb im Streitjahr 2003 ein Einzelhandelsgeschäft mit Teppichen. Im Oktober 2003 sind nach seinen Angaben Teppiche im Gesamtwert von rund 85.000 Euro mit einem Lkw seines Unternehmens in sein Lager in die Niederlande verbracht und anschließend gestohlen worden. Eine belegmäßige Dokumentation der Verbringung in die Niederlande lag zunächst nicht vor, erst während der Betriebsprüfung wurde eine Liste der gestohlenen Teppiche erstellt und dem Finanzamt übergeben. Das Finanzamt setzte Umsatzsteuer fest, da zur vorübergehenden Verwendung in das EU-Ausland verbrachte Gegenstände im Zeitpunkt ihres Untergangs durch Diebstahl als geliefert gelten. Weil keine Erwerbsbesteuerung gemäß § 6a UStG vorliege (u. a. war keine USt-IdNr. erteilt worden), sei die Lieferung der Teppiche umsatzsteuerpflichtig.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht folgte dem Vortrag des Klägers und kam zu dem Ergebnis, dass hier zunächst ein steuerbares Verbringen der Teppiche in die Niederlande im Sinne des § 3 Abs. 1a UStG in Betracht kommt. Diese Lieferung ist nach § 6a Abs. 2 UStG umsatzsteuerfrei, obwohl der Unternehmer die Voraussetzungen des Belegnachweises und insbesondere die des formalisierten Buchnachweises unstreitig nicht erfüllt hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH sind der Buchnachweis und der Belegnachweis allerdings keine materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung als innergemeinschaftliche Lieferung, sondern bestimmen lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise dann, wenn trotz der Nichterfüllung der - formellen - Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen Nachweise nicht erbrachte. Dasselbe gilt nach dem BFH-Urteil vom 21.5.2014 (V R 34/13) für die innergemeinschaftliche Lieferung in Gestalt des innergemeinschaftlichen Verbringens (§ 6a Abs. 2 UStG).
Vorliegend ist zu beachten, dass einzige Tatbestandsvoraussetzung für die Gleichstellung des innergemeinschaftlichen Verbringens mit einer innergemeinschaftlichen Lieferung in § 6a Abs. 2 UStG ist, dass ein innergemeinschaftliches Verbringen vorliegt. Über § 3 Abs. 1a UStG hinausgehende Tatbestandsvoraussetzungen für die Steuerbefreiung stellt § 6a Abs. 2 UStG nicht auf.
Hinweis
Das Urteil lässt sich kurz und knapp wie folgt zusammenfassen: Liegen die Voraussetzungen für eine steuerbare innergemeinschaftliche Verbringung vor, ist damit zugleich der Nachweis für die Steuerbefreiung dieses Vorgangs erbracht. Faktisch hat das Finanzgericht Köln sämtlichen formalen Nachweispflichten hinsichtlich des innergemeinschaftlichen Verbringens eine klare Absage erteilt. Es muss lediglich feststehen, dass die Ware in den Zielmitgliedstaat gelangt ist. Ob für die Umsatzsteuerfreiheit des innergemeinschaftlichen Verbringens eine Art Belegnachweis, etwa im Sinne einer pro-forma-Rechnung, verlangt werden darf, ist ohnehin umstritten. Dass das Finanzgericht jetzt aber auch weitergehend auf jegliche Nachweise verzichtet, konnte so nicht erwartet werden. Schließlich kann ohne jeglichen Nachweis grundsätzlich gar nicht nachvollzogen werden, wo die Ware verblieben ist. Es ist meines Erachtens nur schwer vorstellbar, dass der BFH diese "lockere Sichtweise" bestätigen wird. Deshalb sollte das Urteil des Finanzgerichts Köln nicht zum Anlass genommen werden, die grundsätzlich gebotenen Nachweise zur Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen bzw. Verbringungen im Unternehmen zu lockern bzw. zu vernachlässigen. Gleichwohl kann das Urteil bis zur Entscheidung im Revisionsverfahren (Az. des BFH: V R 17/15) in der Abwehrberatung durchaus von Nutzen sein.
Link zur Entscheidung
FG Köln, Urteil vom 18.03.2015, 4 K 3157/11