Die unbeschränkte Steuerpflicht beginnt mit der Geburt bzw. dem Zuzug ins Inland. Sie endet mit dem Tod bzw. dem Wegzug aus dem Inland.

Bei Wohnsitzverlegung im Laufe eines Veranlagungszeitraums ist für das gesamte Kalenderjahr nur eine Veranlagung durchzuführen, und zwar nach den Grundsätzen der unbeschränkten Steuerpflicht. Folglich werden alle zustehenden Jahresfreibeträge ungekürzt gewährt. Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens[1] sind die nach Wegzug bzw. vor dem Zuzug erzielten Einkünfte nach § 49 EStG den während der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland erzielten Einkünften hinzuzurechnen, soweit sie nicht dem Steuerabzug nach § 50 Abs. 2 EStG unterliegen. Steuerfreie DBA-Einkünfte[2] (= Einkünfte, die während der beschränkten Steuerpflicht erzielt werden) sind bei der Veranlagung über den Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen.[3]

Der BFH hat die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf steuerfreie DBA-Einkünfte, die vor dem Zuzug ins Inland bzw. nach dem Wegzug im Ausland erzielt worden sind, als rechtmäßig entschieden und auch eine verfassungsmäßige Ungleichbehandlung ausgeschlossen.[4] Ein weiteres Urteil bestätigt diese Rechtsauffassung auch für steuerfreie DBA-Einkünfte aus EU-/EWR-Staaten.[5] Ein Verstoß gegen die Garantie der Freizügigkeit innerhalb der EU[6] wird insoweit nicht gesehen.[7] Dies gilt auch in Fällen der Doppelansässigkeit. Der Progressionsvorbehalt ist bei Steuerpflichtigen mit doppeltem Wohnsitz ebenfalls anzuwenden.[8]

 
Wichtig

Vom BFH entschiedene Progressions-Sachverhalte

Der BFH ist in einem weiteren Urteil seiner bisherigen Auffassung gefolgt und hat im Zuzugsjahr die aus Ungarn stammenden, nicht der deutschen Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterworfen. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG findet nicht nur beim Wechsel von der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht Anwendung, sondern auch, wenn nur zeitweise unbeschränkte Steuerpflicht und im Übrigen keine inländische Einkommensteuerpflicht besteht.[9]

Abschließend entschieden ist damit die

  • Anwendbarkeit des Progressionsvorbehalts bei zeitweiser unbeschränkter Steuerpflicht[10]
  • Anwendbarkeit des Progressionsvorbehalts bei ganzjähriger unbeschränkter Steuerpflicht und Doppelansässigkeit mit Lebensmittelpunkt im ausländischen Staat, wenn Deutschland also lediglich der DBA-Quellenstaat ist.[11]
 
Praxis-Beispiel

Ausländische Einkünfte mit Progressionsvorbehalt

Ein lediger spanischer Arbeitnehmer zieht am 1.7.2023 nach Deutschland. Seine bis dahin erzielten spanischen Einkünfte betragen 10.000 EUR. In Deutschland erzielt er vom 1.7. bis 31.12.2023 Arbeitslohn i. H. v. 15.000 EUR.

Der Arbeitnehmer wird in Deutschland veranlagt. Die spanischen Einkünfte sind nach § 32b EStG im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu erfassen.

Einkünfte, die nach einem DBA[12] oder sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen steuerfrei sind[13] oder die bei Anwendung von § 1 Abs. 3 EStG oder § 1a EStG oder § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 EStG im Veranlagungszeitraum nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen, werden dem Progressionsvorbehalt unterworfen – Letztere aber nur, wenn deren Summe positiv ist.[14] Die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei steuerfreien Auslandseinkünften verstößt nicht gegen das EU-Recht der Dienstleistungsfreiheit.[15]

 
Wichtig

Progressionsvorbehalt bei Nicht-DBA-Bezügen

Während steuerfreie DBA-Bezüge in die besondere Steuersatzberechnung bereits dann einzubeziehen sind, wenn das einschlägige Abkommen dies nicht ausnahmsweise ausdrücklich verbietet[16], ist die Einbeziehung von steuerfreien Einkünften aufgrund sonstiger zwischenstaatlicher Vereinbarungen an eine weitere Voraussetzung geknüpft. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts durch das Finanzamt ist hier nur zulässig, wenn seine Berücksichtigung in dem jeweiligen zwischenstaatlichen Abkommen ausdrücklich vorgesehen ist.[17] Eine solche nachteilige Klausel ist z. B. in den Abkommen für die UNO-Sonderbehörden regelmäßig nicht enthalten.

Bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht kann immer eine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt werden, bei Arbeitnehmern ohne Inlandswohnsitz[18] müssen die Grundsätze des § 1 Abs. 3 EStG beachtet werden (= fiktive unbeschränkte Steuerpflicht auf Antrag).[19] Eine Besonderheit besteht für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer mit EU-/EWR-Staatsangehörigkeit. Hier kann auf Antrag eine Einzelveranlagung[20] durchgeführt werden[21], wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieser Staaten haben.

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