Soll gegen einen Steuerpflichtigen der Vorwurf der Verletzung der Pflicht zur Erkundigung über die steuerliche Rechtslage erhoben werden, gelangt man zur Frage der Leichtfertigkeit und damit zur Abgrenzung gegenüber der – bußgeldrechtlich irrelevanten – einfachen (leichten) Fahrlässigkeit. Es ist zweifelhaft, ob eine Leichtfertigkeit des Steuerpflichtigen darin liegen kann, dass er es unterließ, sich über die steuerliche Rechtslage zu erkundigen oder einen Steuerberater zu beauftragen.

Strafgerichte haben eine solche Pflicht bejaht.[1]

Es ist anerkannt, dass derjenige, der einen bestimmten Beruf oder ein bestimmtes Gewerbe ausübt, sich über die steuerlichen Pflichten, die mit dem Beruf oder Gewerbe verbunden sind, zu unterrichten hat und dass ihn demgemäß eine Pflicht zur Erkundigung bei einer maßgebenden Stelle trifft.[2]

Demgegenüber wird darauf hingewiesen, dass die AO nicht vorschreibt, dass sich Steuerpflichtige von einem sachkundigen Bevollmächtigten vertreten lassen müssen, wenn es ihnen an steuerrechtlicher Sachkunde fehlt. Aus den Steuergesetzen ergibt sich nicht, was der steuerliche Laie tun muss, um zu klären, welche Tatsachen steuerlich erheblich sind. Diese Unklarheit des Steuerrechts kann strafrechtlich nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen.[3]

Eingewandt wird jedoch, dass die Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten in § 150 Abs. 2 AO("...nach bestem Wissen und Gewissen...") Grenzen haben muss. Die Gesetzesformulierung habe offenkundig nicht den Sinn, ein Recht auf steuerliche Unwissenheit abzusichern. Objektive Sorgfaltsstandards seien "nicht gänzlich verzichtbar"; je mehr auf persönliche Fähigkeiten und Kenntnisse abgestellt werde, umso mehr werde die Pflichtengleichheit (Art. 3 GG) aufgelöst.[4]

Der letztgenannten Auffassung ist zwar zuzustimmen, jedoch erfordert Leichtfertigkeit einen schweren Sorgfaltsverstoß. Ein solcher Vorwurf wird aber in der Praxis i. d. R. nicht wegen unterlassener Erkundigung über die steuerliche Rechtslage erhoben werden können, vor allem deshalb, weil die Abgrenzung zur leichten (bußgeldrechtlich irrelevanten) Fahrlässigkeit dabei schwierig wäre.[5]

[1] BayObLG, Urteil v. 21.10.1971, 4 St 514/71, DB 1971 S. 1544; OLG Hamm, Urteil v. 28.6.1963, 1 Ss 655/63, BB 1963 S. 1004; vgl. auch OLG Bremen, Urteil v. 30.9.1959, 1 Ss 59/59, NJW 1960 S. 163, 164.
[2] OLG Hamm, Urteil v. 28.6.1963, 1 Ss 655/63,BB 1963 S. 1004.
[3] Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 150 Tz. 43.
[4] § 150 Abs. 2 AO; Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 150, Anm. 19.

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