Prof. Dr. Gerd Waschbusch
Rz. 14
Eine atypische stille Gesellschaft liegt vor, wenn von dem handelsrechtlichen Regelungsmodell in einem oder auch in mehreren Punkten abgewichen wird. Dementsprechend existiert in der Praxis eine große Anzahl atypischer Ausgestaltungsformen der stillen Gesellschaft, wobei sich maßgeblich drei Fallgruppen herauskristallisiert haben: die Beteiligung des stillen Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen des Inhabers des Geschäftsbetriebs, die Ausstattung der stillen Gesellschaft mit zusätzlichen atypischen Rechten und Pflichten des stillen Gesellschafters sowie mehrgliedrige atypische stille Gesellschaften.
Rz. 15
Eine atypische stille Gesellschaft kann bei einer Beteiligung des stillen Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen des Inhabers des Geschäftsbetriebs vorliegen, wobei hier aber kein dinglich separiertes Gesellschaftsvermögen entsteht, sondern die Leistung wie bei der typischen stillen Gesellschaft in das Vermögen des Geschäftsinhabers erfolgt. Allerdings kann der stille Gesellschafter auf schuldrechtlicher Grundlage so gestellt werden, als wäre er – ähnlich wie ein Kommanditist – am Vermögen des Handelsgewerbes beteiligt. Aufgrund der weitergehenden Gewinnbeteiligung resultieren hieraus auch zusätzliche Kontrollrechte des stillen Gesellschafters und gesteigerte Treuepflichten der Gesellschafter.
Rz. 16
Kennzeichnend für eine atypische stille Gesellschaft kann auch die Vereinbarung weitergehender Mitgliedschaftsrechte für den stillen Gesellschafter sein. Allerdings resultiert aus der bloßen Erweiterung der gesetzlich kodifizierten Einsichts- und Auskunftsrechte zunächst noch keine atypische stille Gesellschaft. Es bedarf hierzu vielmehr der Einräumung von Zustimmungs- bzw. Widerspruchsrechten. Daneben kommen auch Geschäftsführungsbefugnisse wie Stimmrechte oder Weisungsrechte für den stillen Gesellschafter in Betracht. Diese können sogar bis hin zu der schuldrechtlichen Vereinbarung führen, dass der stille Gesellschafter die Geschäftsführung alleine übernimmt. Derartige Regelungen zur Gewährung zusätzlicher Mitwirkungsrechte des stillen Gesellschafters haben indessen nur im Innenverhältnis Geltung, so dass es zur Verleihung von Vertretungsbefugnissen grundsätzlich der Erteilung einer Prokura oder Handlungsvollmacht bedarf. Da eine stille Gesellschaft jedoch nicht als Außengesellschaft entstehen kann (vgl. Rz. 4), muss sich die Vertretungsbefugnis zwingend auf die Vertretung des Geschäftsinhabers und nicht auf die Vertretung der stillen Gesellschaft an sich beziehen.
Rz. 17
Eine atypische stille Gesellschaft liegt zudem üblicherweise bei einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft vor. Eine solche zeichnet sich dadurch aus, dass der Geschäftsinhaber mehrere stille Beteiligungsverhältnisse eingeht, die vertraglich koordiniert nebeneinander bestehen. Hierbei kann zum einen ein einheitliches Gesellschaftsverhältnis zwischen dem Geschäftsinhaber und den stillen Gesellschaftern begründet werden (mehrgliedrige Gesellschaft im engen Sinne), bei dem die stillen Gesellschafter nicht nur untereinander verbunden sind, sondern vielmehr unter allen Beteiligten eine gesellschaftliche Verbindung entsteht, die durch eine einheitliche Gesellschaft umschlossen wird. Alternativ besteht auch die Möglichkeit, das Gesellschaftsverhältnis verbandsmäßig mit Hilfe von Kontrollorganen oder Beiräten zu strukturieren. Zum anderen können die stillen Gesellschafter sich auch als Innen-GbR organisieren oder vorab eine teilrechtsfähige Außen-GbR begründen. In diesem Fall existiert lediglich ein stiller Gesellschafter, der mit dem Geschäftsinhaber ein Gesellschaftsverhältnis eingeht. Mehrgliedrige stille Gesellschaften treten insbesondere in der Form der Publikumsgesellschaft bzw. der GmbH & Still auf und kommen bei der Ausgestaltung von Unternehmensbeteiligungen zum Einsatz. Da mehrgliedrige stille Gesellschaften im Geltungsbereich des KAGB aufgrund des dort normierten Rechtsformzwangs nicht mehr gewählt werden dürfen, konzentriert sich die Bedeutung der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft inzwischen insbesondere auf den Fall der Unternehmensbeteiligungen von Arbeitnehmern.