Leitsatz
1. Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst können auch vorliegen, wenn von demselben Bildwerk eines Künstlers mehrere Nachbildungen von ihm oder unter seiner Anleitung angefertigt werden. Der Umstand allein, dass Erzeugnisse der Bildhauerkunst in größerer Anzahl in einem Reproduktionsverfahren von einem Künstler oder unter seiner Anleitung hergestellt werden, steht noch nicht der Annahme des Originalcharakters entgegen.
2. Ob Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst oder Handelswaren vorliegen, ist weitgehend eine Frage der tatsächlichen Würdigung, die, falls verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und denkgesetzlich möglich, für das Revisionsgericht bindend ist.
Normenkette
§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG , Anl. Nr. 53 Buchst. c UStG , Anm. 3 zu Kap. 97 KN Pos. 9703 FGO , § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Ein Bildhauer ließ nach von ihm gefertigten Formen Bronzeskulpturen in Polen gießen und führte sie in die Gemeinschaft ein. Da teilweise über hundert Abgüsse hergestellt wurden, sah das HZA die Einfuhrwaren nicht als "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst" (Pos. 9703 KN) an, sondern als "Ziergegenstände", und reihte sie in Pos. 8306 KN ein.
Entscheidung
FG und BFH sehen die Ware trotz der großen Zahl gleicher Exemplare als Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst an. Solche Originalerzeugnisse könnten auch vorliegen, wenn von demselben Bildwerk mehrere "Nachbildungen" angefertigt werden. Die Anzahl der hergestellten Skulpturen sei zwar ein Anhaltspunkt für den fehlenden Originalcharakter eines Werks; entscheidend sei indessen, dass die Skulpturen eine Signierung und Nummerierung aufwiesen und schon wegen dieser "niemals völlig gleich" seien, Signierung und Nummerierung brächten die Urheberschaft des Künstlers zum Ausdruck und ließen die Werke als seine persönliche Schöpfung erscheinen.
Hinweis
1. Die zollrechtliche Tarifierung ist oftmals (und wirtschaftlich gewichtig) für den EUSt-Satz von Bedeutung.
2. Das entscheidende Kriterium für die Tarifierung von Waren sind deren objektive Merkmale und Eigenschaften, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltaris (GZT) festgelegt sind. Daneben treten die Erläuterungen, die für das Harmonisierte System (HS) vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens sowie für die Kombinierte Nomenklatur (KN) von der Europäischen Kommission ausgearbeitet werden und ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen.
3. Der BFH spricht in der Entscheidung von "Nachbildungen", wenn er die (Bronze-)Abgüsse von der vom Künstler geschaffenen Form meint. Hingegen versteht sich von selbst, dass echte Nachbildungen (Reproduktionen) eines Kunstwerks keine Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst sein können.
4. Der BFH hat offen gelassen, ob irgendwann (jedenfalls wann) wegen der großen Gesamtzahl von Exemplaren, die von einer Form gegossen werden (oder z.B. der Drucke, die von einer Platte hergestellt werden), der Originalcharakter verloren geht. Dafür dürfte die Verkehrsanschauung entscheidende Bedeutung haben, die massenhafte Abdrucke jedenfalls bei einem berühmten Künstler toleriert, ohne die Ware nicht mehr als Kunstwerke, sondern als "Druckerzeugnisse" bzw. gegossene Dekorationsgegenstände anzusehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.1.2003, VII R 11/02