IAS 12 folgt dem Konzept der temporary differences. Zu latenten Steuern führen danach alle Wertunterschiede zwischen IFRS-Bilanz und Steuerbilanz, die sich im Zeitablauf steuerwirksam auflösen, in der Regel unabhängig davon, wie diese Differenzen entstanden sind.
Beispiel
Die Tax Base GmbH hat zum 31.12.00 ihre unbebauten Grundstücke (Buchwert 10 Mio. EUR) von einem Sachverständigen neu auf 20 Mio. EUR taxieren lassen und übernimmt diese neue Bewertung gemäß der Alternativmethode aus IAS 16.31 ff. in die Bilanz. Außerdem hat die GmbH Ende Juni 00 einen Mainframe-Computer für 1 Mio. EUR erworben; in der Steuerbilanz wird er degressiv mit 0,3 Mio. EUR abgeschrieben, in der IFRS-Bilanz linear pro rata temporis mit 0,1 Mio. EUR. Der Steuersatz beträgt 30 %.
Im Fall des Computers liegt ein Ergebnisunterschied vor, der sich in der Zukunft umkehrt, somit eine timing difference, zugleich aber auch eine temporary difference. Der Bewertungsunterschied führt zu latenten Steuern.
Die Neubewertung der Grundstücke vollzieht sich hingegen nicht über die GuV. Es liegt nur eine temporary difference vor. Auch diese ist in 00 latenzierungspflichtig.
Zwischen dem IFRS-Ansatz und dem Steuerbilanzansatz ergibt sich insgesamt eine Differenz von 10,2 Mio. EUR. Die latente Steuerschuld beträgt 30 % hiervon, somit 3,06 Mio. EUR. Davon werden 0,06 Mio. EUR über die GuV, d. h. aufwandswirksam, eingebucht. 3 Mio. EUR werden wie die Neubewertung selbst gegen Eigenkapital eingebucht. Die Neubewertungsrücklage beträgt damit nicht 10 Mio. EUR, sondern 7 Mio. EUR.
Von der Regel, dass es nach IFRS auf den Entstehungsgrund der bilanziellen Differenzen nicht ankommt, besteht eine wesentliche Ausnahme: temporäre Differenzen, die erfolgsneutral bereits bei der Zugangsbewertung entstehen, werden nur berücksichtigt, soweit der Zugang durch einen Unternehmenszusammenschluss (business combination) erfolgt. Bei einfachen Zugängen ist hingegen keine Steuerlatenz zu bilden (initial recognition exemption). Ein Grund ist, dass sich sonst der Zugangsbetrag selbst verändern würde.
Beispiel
Gesellschafter A tätigt aus einem anderen Betriebsvermögen eine Einlage in seine Gesellschaft. Der Zeitwert des Einlagegegenstands beträgt geschätzte 200 +/– 25 (Schätzintervall), der bisherige Steuerbuchwert 100. Aufgrund steuerlicher Sondervorschriften wird die Einlage steuerbilanziell zum Buchwert von 100 vorgenommen, während in der IFRS-Bilanz ein Wert von 175 angesetzt werden soll, um das Eigenkapital in entsprechender Höhe zu stärken.
- Würde man die Differenz von 75 mit einer passiven latenten Steuer von 30 (= 40 % von 75) belegen, müsste der Zugangswert auf 205 (= 175 + 30) erhöht werden, um so die gewünschte Kapitalzuführung von 175 zu bewirken.
- Damit wäre aber die Differenz zur Steuerbilanz auf 105 gestiegen. Die latente Steuer wäre also im zweiten Schritt mit 42 (= 40 % von 105) anzusetzen. Dies würde wiederum den Zugangswert auf 217 (= 175 + 42) erhöhen.
- Bei unendlicher Wiederholung dieser Berechnungen ergäbe sich schließlich für die gewünschte Kapitalzuführung (Nettoeinlage) von 175 ein Bruttoeinlagebedarf von 225. Die darauf entfallende latente Steuer wäre 50 (= 40 % von 125), die Nettoeinlage wie geplant 175.
Die Sonderregelungen für erfolgsneutral entstehende Zugangsdifferenzen erübrigen solche Berechnungen.
Eine Rückausnahme von der initial recognition exemption besteht seit 2021 für Zugangsdifferenzen die gleichzeitig und als Folge einer einzigen Transaktion zu der Höhe nach identischen abzugsfähigen und zu versteuernden temporären Differenzen führen (IAS 12.22A). Betroffen sind vor allem
- Rückbaukosten bei Errichtung von Sachanlagen – nach IFRS "per Sachanlage an Rückstellung", steuerbilanziell weder aktivisch noch passivisch bilanziert,
- steuerlich als operating Lease zu qualifizierende Nutzungsverträgen aus Sicht des Leasingnehmers – nach IFRS Aktivierung eines Nutzungsrechts und Passivierung einer Leasingverbindlichkeit, steuerbilanziell weder aktivisch noch passivisch berücksichtigt.
Latente Steueransprüche sind nach IAS 12.34 auch für den Vortrag noch nicht genutzter steuerlicher Verluste zu bilanzieren. Vorausgesetzt wird die Wahrscheinlichkeit, dass zukünftig hinreichend positives steuerliches Einkommen zur Verfügung stehen wird, gegen das die Verlustvorträge verwendet werden können.
Beispiel
Die Tax Base GmbH hat in ihrem Gründungsjahr einen geplanten Verlust von 10 Mio. EUR. Im aktuellen Jahr wurden davon 5 Mio. EUR verbraucht. Der verbleibende Verlustvortrag wird voraussichtlich im nächsten, spätestens im übernächsten Jahr aufgezehrt worden sein.
Bei einem Steuersatz von 30 % waren im Gründungsjahr 3 Mio. EUR und im aktuellen Jahr noch 1,5 Mio. EUR als latente Steuern zu aktivieren. Die Bildung und Auflösung des Postens erfolgt GuV-wirksam.
Latente Steuern haben für die Handelsbilanz eine kleinere Bedeutung als für die IFRS-Bilanz. Soweit überhaupt Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz bestehen, etwa aus dem steuerlichen Verbot der Passivierung vo...