OFD Frankfurt, Verfügung v. 12.4.2000, S 0223 A - 5 - St II 42
In Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung dient es unter bestimmten Voraussetzungen der Effektivität der Besteuerung und allgemein dem Rechtsfrieden, wenn sich die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und über eine bestimmte Sachbehandlung einigen können (vgl. AEAO zu § 88 AO Nr. 1 [AO-Kartei, § 88 AO, Allgemeines, Karte 1]).
Diese tatsächliche Verständigung kann nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteile vom 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl 1985 II S. 354, vom 5.10.1990, III R 19/88, BStBl 1991 II S. 45, vom 6.2.1991, I R 13/86, BStBl 1991 II S. 673 und vom 8.9.1994, V R 70/91, BStBl 1995 II S. 32) in jedem Stadium des Veranlagungsverfahrens, insbesondere auch anläßlich einer Außenprüfung und während eines anhängigen Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelverfahrens, getroffen werden. Beabsichtigen die Beteiligten, sich auf diese Weise über eine bestimmte Sachbehandlung zu verständigen, so sind die folgenden Grundsätze zu beachten:
1. Zulässigkeit
1.1 Die tatsächliche Verständigung ist ausschließlich im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig.
1.2 Die tatsächliche Verständigung ist nicht zulässig:
- zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen,
- über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen,
- über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften und
- wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt (vgl. BFH-Urteil vom 6.2.1991, a.a.O.).
2. Voraussetzungen
Voraussetzungen für eine tatsächliche Verständigung ist das Vorliegen eines Sachverhalts, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Das ist z.B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhalte nur
- mit überdurchschnittlichem Arbeits- und Zeitaufwand und/oder
- mit überdurchschnittlicher Zeitdauer ermitteln lassen.
Bei der Frage, ob eine erschwerte Sachverhaltsermittlung vorliegt, kann auch auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg abgestellt und ferner berücksichtigt werden, in welchem Maße das FA durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet wird, sofern es bei vorhandenen tatsächlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entspricht und zu seinem Nachteil entscheidet (vgl. AEAO zu § 88 AO).
3. Anwendungsbereich
3.1 Die tatsächliche Verständigung kommt insbesondere in Fällen in Betracht, in denen ein
- Schätzungsspielraum,
- Bewertungsspielraum,
- Beurteilungsspielraum oder
- Beweiswürdigungsspielraum
besteht.
3.2 Die tatsächliche Verständigung unterscheidet sich von der verbindlichen Auskunft dadurch, daß sie sich ausschließlich auf abgeschlossene Sachverhalte bezieht (BFH-Urteil vom 6.3.1997, BFH/NV 1997 S. 762). Wirkt sich der in der tatsächlichen Verständigung festgelegte Sachverhalt auch in der Zukunft aus, tritt – gleichbleibende tatsächliche Verhältnisse vorausgesetzt – insoweit ebenfalls eine Bindung ein (BFH-Urteil vom 13.8.1997, I R 12/97, BFH/NV 1998 S. 498).
4. Durchführung
Die tatsächliche Verständigung dient der Herstellung des Rechtsfriedens bei gleichzeitiger Beschränkung des Arbeits- und Zeitaufwandes auf ein vertretbares Maß.
Bei der Durchführung der tatsächlichen Verständigung ist folgendes zu beachten:
4.1 Die Beteiligten müssen zu einer abschließenden Regelung befugt sein.
4.1.1 Wird der Steuerpflichtige vertreten, muß eine entsprechende Vollmacht vorliegen. Eine uneingeschränkte Vollmacht gem. § 80 Abs. 1 Satz 2 AO umfaßt auch die Befugnis zu einer tatsächlichen Verständigung.
4.1.2 Auf Seiten des Finanzamts muß der für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständige Amtsträger beteiligt sein, also der Vorsteher, der jeweilige Veranlagungssachgebietsleiter oder im Rechtsbehelfsverfahren der Leiter der Rechtsbehelfsstelle (BFH-Urteil vom 5.10.1990, a.a.O.).
War an der tatsächlichen Verständigung ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger nicht beteiligt, ist die Vereinbarung unwirksam. Eine nachträgliche Genehmigung der Vereinbarung durch den entscheidungsbefugten Amtsträger ist nicht möglich (BFH-Urteil vom 28.7.1993, XI R 68/92, BFH/NV 1994 S. 290).
4.2 Eine tatsächliche Verständigung soll sich nach Möglichkeit nur auf einen einzelnen Sachverhalt beziehen. Sollten tatsächliche Verständigungen über mehrere Sachverhalte herbeigeführt werden, sind in der Regel auch mehrere voneinander unabhängige tatsächliche Verständigungen anzustreben. Paketlösungen (Einzelregelungen, die in ihrem Bestand voneinander abhängig gemacht werden) sollten nur dann erwogen werden, wenn eine Klärung der offenen Sachverhaltsfragen nur auf diesem Wege erreicht werden kann.
4.3 Über eine tatsächliche Verständigung ist eine Niederschrift zu fertigen, die von den Beteiligten zu unterschreiben ist. In dieser Niederschrift sind die Beteiligten auf die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung hinzuweisen.
5. Rechtsfolgen
5.1 Mit dem Abschluß der wirksamen tatsächlichen Verständigung sind die Beteiligten an die vereinbarte Tatsachenbehandlung nach dem Grundsatz von Tre...