rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Abzweigung von Kindergeld für voll stationär untergebrachtes behindertes Kind bei wöchentlicher Kontaktpflege und Leistung des sozialgesetzlichen Kostenbeitrags. Entscheidung über Abzweigung dem Grunde und der Höhe nach. Betreuungsunterhalt für erwachsenes behindertes Kind als Unterhaltsleistung. Kein Verweis des Kindergeldberechtigten auf weitere öffentliche Leistungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Abzweigung von Kindergeld an den die vollstationäre Unterbringung eines behinderten Kindes gewährenden Sozialleistungsträger sind erfüllt, wenn der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt, weil er die zum Lebensbedarf des Kindes gehörenden laufenden Kosten für die Unterbringung in vollstationärer Pflege nicht übernimmt. Ob und in welcher Höhe das Kindergeld beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG sodann abgezweigt wird, obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der Familienkasse.
2. Leisten die Eltern – in der Summe das monatliche Kindergeld übersteigend – zum einen den sozialgesetzlich geschuldeten Kostenbeitrag von 46 EUR und zum anderen erheblichen Betreuungsunterhalt, obwohl sie diesen dem volljährigen Kind nicht mehr schulden (Betreuung an jedem Wochenende und den Feiertagen im Haushalt der Eltern, Urlaub mit Kind), ist es allein ermessensgerecht, das volle Kindergeld beim Kindergeldberechtigten zu belassen. Das Ermessen der Familienkasse ist in diesem Fall auf Null reduziert, so dass auch ein Ermessensausfall unbeachtlich ist.
3. Es erscheint nicht sachgerecht, die volle oder teilweise Abzweigung des Kindergeldes an den Sozialleistungsträger generell deshalb zu gewähren, weil die prinzipielle Möglichkeit des Kindergeldberechtigten besteht, weitere öffentliche Leistungen zu beantragen (hier: Leistungen wegen Fahrtkosten, Antrag auf höhere Leistungen für Sonderbedarf oder Barbetragserhöhung).
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 4, 3; AO § 5; FGO § 102; BGB §§ 1601, 1610 Abs. 2; SGB XIII § 94 Abs. 2 S. 1; BSHG § 91 Abs. 2 S. 3, Abs. 1 S. 1; SGB IX § 53
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Abzweigung des für X-Person gezahlten Kindergeldes nach § 74 Einkommenssteuergesetz (EStG) zu Recht abgelehnt hat.
Die Klägerin gewährt seit dem 1. Januar 2005 der in einer Einrichtung vollstationär untergebrachten, von Kindheit an zu 100 % behinderten am 30. März 1976 geborenen X-Person Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches XII (SGB XII). Im Schwerbehinderten-Ausweis (Bl. 39 d. KG-Akte) sind die Merkzeichen G, aG, H und RF eingetragen. Die beigeladene kindergeldberechtigte Kindesmutter unterhält zu ihrer Tochter regelmäßigen Kontakt, trägt finanzielle Aufwendungen und leistet regelmäßig den geforderten Unterhaltsbeitrag von 46,00 Euro monatlich an die Klägerin (Bl. 47 u. 62 d. KG-Akte). Sie kleidet ihre Tochter für etwa 25 Euro monatlich ein, verbringt mit ihr den Urlaub und betreut sie jedes Wochenende und an den Feiertagen bei sich im Haushalt. Dort gewährt sie ihr Unterkunft, Verpflegung und Betreuung. Sie holt wöchentlich Ihre Tochter vom 21 km entfernt liegenden „CJD Heilpädagogisches Heim für Erwachsene” mit dem PKW ab und fährt sie dann wieder zurück. Im Weiteren entstehen ihr Fahrtkosten für etwa 8 Fahrten monatlich sowie für vierteljährliche Fahrten zu Arztbesuchen und für Urlaubsreisen (Bl. 52, 53 d. KG-Akte). Die Beklagte zahlte bzw. zahlt das Kindergeld in vollem Umfang an die Eltern des Kindes aus. In diesem Zusammenhang trägt die Kindergeldberechtigte umfangreiche Kosten der Kontaktpflege.
Mit dem am 14. Juni 2006 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben stellte die Klägerin einen Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes ab sofort (Erstattungsantrag – Bl. 43 d. KG-Akte). Mit Bescheid vom 02.02.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab und verwies zur Begründung auf die durch die beigeladene Kindesmutter erbrachten Unterhalts- und Betreuungsleistungen (Bl. 64 d. KG-Akte). In der Rechtsmittelbelehrung wies die Beklagte nicht auf die Möglichkeit zur Einlegung eines Einspruchs hin.
Da der Bescheid mit einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, erhob die Klägerin am 6. März 2007 Klage. Diese wertete die Beklagte als Einspruch, den sie als unbegründet zurückwies, da die Beigeladene nicht gegen ihre Unterhaltspflichten verstoßen habe. In ihrer Einspruchsentscheidung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Eine Abzweigung scheide aus, weil der kindergeldberechtigte Elternteil Unterhaltsleistungen mindestens in Höhe des auf das Kind entfallenden Kindergeldes erbringe, obwohl er nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen eigentlich leistungsunfähig bzw. nur teilweise leistungsfähig sei. Als Unterhaltsleistungen se...