rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Abzweigung von Kindergeld an den Sozialleistungsträger bei Leistung von erheblichem Betreuungsunterhalt durch Eltern. Kein Verweis der Eltern auf Aufwandsersatzmöglichkeiten beim Sozialleistungsträger
Leitsatz (redaktionell)
Auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Abzweigung von Kindergeld für ein vollstationär untergebrachtes volljähriges behindertes Kind an den Sozialhilfeleistungsträger vorliegen, ist die Entscheidung der Familienkasse, das Kindergeld in voller Höhe beim Kindergeldberechtigten zu belassen, ermessensgerecht, wenn dieser –zwar aufgrund Leistungsunfähigkeit nicht zur Leistung des Kostenbeitrags an den Sozialleistungsträger herangezogen wird, aber– Betreuungsunterhalt in Form der Haushaltsaufnahme an jedem zweiten Wochenende und in den Ferien sowie im Urlaub leistet. Dem steht nicht entgegen, dass der Kindergeldberechtigte vom Sozialleistungsträger für bestimmte Aufwendungen Kostenersatz beantragen kann.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 3-4; FGO § 102; AO § 5; BSHG § 91 Abs. 2 Sätze 2-3; SGB XII § 94 Abs. 2 S. 1; BGB § 1610 Abs. 2; SGB IX § 53
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Abzweigung des für X gezahlten Kindergeldes nach § 74 Einkommenssteuergesetz (EStG) zu Recht abgelehnt hat.
Die Klägerin gewährt seit dem 1. Januar 2005 der in einer Einrichtung vollstationär untergebrachten, von Kindheit an zu 100 % behinderten am 4. April 1972 geborenen X Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches XII (SGB XII). Im Schwerbehinderten-Ausweis (Bl. 114 d. KG-Akte) sind die Merkzeichen G, aG, H, RF und Bl eingetragen.
Die beigeladene kindergeldberechtigte Kindesmutter, XX, unterhält zu ihrer Tochter regelmäßigen Kontakt und trägt finanzielle Aufwendungen. Sie leistet, ebenso wie der Kindesvater, aufgrund fehlenden Einkommens keinen Kostenbeitrag an die Klägerin (Bl. 117 d. KG-Akte). Sie verbringt mit ihrer Tochter den Urlaub und betreut sie jedes zweite Wochenende und an den Feiertagen bei sich im Haushalt, wo sie ihr Unterkunft und Verpflegung gewährt. Ihr entstehen Fahrtkosten in Höhe von ca. 50 Euro monatlich sowie Aufwendungen für Taschengeld in Höhe von 20 Euro monatlich sowie für das Waschen der Wäsche und für Friseurbesuche (Bl. 117, 118 d. KG-Akte). Die Beklagte zahlte bzw. zahlt das Kindergeld in vollem Umfang an die Eltern des Kindes aus.
Mit dem am 21. März 2006 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben stellte die Klägerin einen Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes ab sofort (Erstattungsantrag – Bl. 100 d. KG-Akte). Mit Schreiben vom 18.08.2006 machte die Klägerin die rückwirkende Auszahlung des Kindergeldes ab 01.01.2004 geltend (Abzweigungsantrag – Bl. 99 d. KG-Akte).
Mit Bescheid vom 2. Februar 2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab und verwies zur Begründung auf die durch die beigeladene Kindesmutter erbrachten Unterhalts- und Betreuungsleistungen (Bl. 128 d. KG-Akte)
Da der Bescheid mit einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, erhob die Klägerin am 6. März 2007 Klage. Diese wertete die Beklagte als Einspruch, den sie als unbegründet zurückwies, da die Beigeladene nicht gegen Unterhaltspflichten verstoßen habe. In ihrer Einspruchsentscheidung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Vorliegend treffe die Elternteile keine Unterhaltspflicht, da sie nicht leistungsfähig seien.
Dennoch scheide eine Abzweigung aus, weil der kindergeldberechtigte Elternteil Unterhaltsleistungen mindestens in Höhe des auf das Kind entfallenden Kindergeldes erbringe, obwohl er nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen eigentlich leistungsunfähig sei. Dabei seien als Unterhaltsleistung – insbesondere auch angesichts der vorliegenden Schwerstbehinderung des Kindes – nicht nur Geldzahlungen, sondern auch Sachleistungen und insbesondere Betreuungsleistungen zu berücksichtigen, die der Sozialleistungsträger bei noch so gewissenhafter Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben und unter Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht leisten könne. Er könne die Liebe und Fürsorge einer Mutter nicht ersetzen, die nur im direkten Umgang miteinander gelebt werden könne.Bei der Entscheidung über die Abzweigung müsse besonders der Umstand berücksichtigt werden, dass die Kindesmutter den Kontakt zum Kind nicht abgebrochen habe, sondern im Rahmen ihrer bescheidenen Verhältnisse dem schwerstbehinderten Kind nicht nur emotionale Betreuung im Familienverbund leiste, sondern dadurch auch entsprechende wirtschaftliche Belastungen habe, die bei einem gleichaltrigen nicht behinderten Kind nicht entstünden.So betreue die Beigeladene das Kind alle 14 Tage sowie an Feiertagen und im Urlaub. Dadurch entstünden Aufwendungen für Kost und Logis sowie angesichts der schweren Behi...