Entscheidungsstichwort (Thema)
Erste Tätigkeitsstätte eines Arbeitnehmers, der arbeitsvertraglich dem Betriebssitz sowie allen Baustellen des Arbeitgebers zugeordnet ist
Leitsatz (redaktionell)
Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsvertrag den „Sitz des Betriebes sowie alle Baustellen des Arbeitgebers” als Arbeitsort festlegt und der an 177 Arbeitstagen des Jahres auf derselben Baustelle tätig gewesen ist, vor dem Weitertransport zu dieser Baustelle aber jeweils den Betriebssitz aufgesucht hat, hat damit „dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufgesucht”. Er kann daher die Fahrten zum Betriebssitz nicht nach Dienstreisegrundsätzen, sondern nur mit der Entfernungspauschale als Werbungskosten geltend machen.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nrn. 4, 4a S. 3, Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten bei der Einkommensteuer des Kalenderjahres 2015 über die Frage, ob 177 Fahrten des Klägers zum Arbeitssitz seines Arbeitgebers nach Reisekostengrundsätzen oder mit der Entfernungspauschale zu bewerten sind.
Der Kläger ist als Elektroinstallateur bei dem Unternehmen A in B beschäftigt. Ausweislich seines Arbeitsvertrages (Bl. 20 der Gerichtsakte) ist sein Arbeitsort „der Sitz des Betriebes sowie alle Baustellen des Arbeitgebers”. Weitere Zuordnungen zu einer Tätigkeitsstätte enthält der Arbeitsvertrag nicht.
Der Kläger war im gesamten Streitjahr 2015 auf einer Fernbaustelle tätig (C). Der Kläger hat insoweit eine „Bestätigung über durchgeführte Dienstreisen” seines Arbeitgebers vom 7. Juli 2016 vorgelegt (Bl. 22 der GA). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger an 177 Tagen mit seinem eigenen Pkw zunächst den Betrieb des Arbeitgebers aufgesucht hat, um von dort aus mit einem Firmenfahrzeug zu der auswärtigen Baustelle zu fahren. Er ist an weiteren 25 Tagen mit seinem privaten Pkw direkt zu der Baustelle gefahren. In der Bestätigung des Arbeitgebers sind die gefahrenen Gesamtkilometer für das Kalenderjahr 2015 mit 5.840 km angegeben.
In seiner Einkommensteuererklärung 2015 erklärte der Kläger Fahrtkosten für 177 Fahrten zum Betriebssitz seines Arbeitgebers nach Reisekostengrundsätzen nebst weiteren Fahrten mit seinem Privatfahrzeug.
Mit Einkommensteuerbescheid 2015 vom 19. August 2016 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 3.360,00 EUR fest. Es berücksichtigte die geltend gemachten 177 Fahrten zum Betriebssitz des Arbeitsgebers nur mit der Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungskilometer anstelle von 0,30 EUR je gefahrenem Kilometer). Als Reisekosten bei Auswärtstätigkeiten erkannte der Beklagte 690 EUR an (25 Tage × 46 km × 2 × 030 EUR).
Mit dem Einspruch gegen den Steuerbescheid machte der Kläger geltend, für die 177 Fahrten zum Betriebssitz seines Arbeitgebers Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen beanspruchen zu können. Er habe eine Auswärtstätigkeit ausgeübt.
Mit Entscheidung vom 15. Juni 2017 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Betriebssitz des klägerischen Arbeitgebers eine „erste Tätigkeitsstätte” i. S. d. § 9 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dargestellt habe oder die Abzugsbeschränkung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzuwenden sei. Denn in beiden Fällen sei für die geltend gemachten Fahrten lediglich mit der Entfernungspauschale anzusetzen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger weiterhin die Bewertung seiner Fahrten an 177 Tagen nach Reisekostengrundsätzen. Hierzu macht er geltend, neben den Fahrten zum Betrieb des Arbeitgebers an weiteren 25 Tagen mit seinem privaten Pkw direkt die jeweilige Baustelle angefahren zu haben. Sein Arbeitgeber habe für ihn keine erste Tätigkeitsstätte i. S. v. § 9 Abs. 4 Sätze 1 – 3 EStG bestimmt (Hinweis auf den Arbeitsvertrag vom 1. November 2008. Auch die quantitativen Kriterien des § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG seien in seinem Fall im Kalenderjahr 2015 nicht erfüllt gewesen.
Die Entfernungspauschale sei auf die Fahrten auch nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG anzuwenden. Er habe nicht „typischerweise arbeitstäglich” dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet aufgesucht. Denn die Regelung greife nicht ein, wenn ein Arbeitnehmer an einzelnen Arbeitstagen nicht den Betrieb des Arbeitgebers aufgesucht sondern direkt von seiner Wohnung aus die jeweilige Baustelle angefahren habe (Hinweis auf Loschelder in Schmidt, EStG, § 9 Rz. 211 sowie BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014 Bundessteuerblatt – BStBl – I 2014, 1412, Rz. 37, Beispiel 24; so auch Urteil des Finanzgerichts (FG) Nürnberg vom 8. Juli 2016 – 4 K 1836/15, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2016, 1692). Auch das Niedersächsische FG habe in seiner Entscheidung vom 15. Juni 2017 das Vorliegen eines Sammelpunktes verneint, wenn der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, an sämtlichen Arbeitstagen zunächst einen vom Arb...