Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegen Insolvenzverwalter festgesetzter Verspätungszuschlag bei vom Insolvenzschuldner verursachter Nichtabgabe der Steuererklärung unzulässig. Einkommensteuer auf nach Insolvenzeröffnung erzielten Arbeitslohn keine Masseverbindlichkeit. keine Masseverbindlichkeiten durch Aktivitäten eines schwachen Insolvenzverwalters. geschätzte Einkommensteueransprüche als Masseverbindlichkeiten bei gestreckter, erst nach Insolvenzeröffnung abgeschlossener Betriebsaufgabe und Erzielung von Gewinnen aus der Veräußerung von Anlagegegenständen, der Entnahme eigenbetrieblicher Grundstücksteile sowie der Erzielung von Vermietungseinkünften aus einer Grundstücksgemeinschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Insolvenzverwalter einen Steuerberater mit der Erstellung einer Einkommensteuererklärung für den Insolvenzschuldner beauftragt und kann der Steuerberater trotz mehrfacher Kontaktaufnahme mit dem Insolvenzschuldner bzw. dessen früherem Steuerberater die – offenbar nicht mehr vorhandenen – Steuerunterlagen nicht erhalten, so trägt der Insolvenzverwalter kein Verschulden daran, dass die Steuererklärung nicht abgegeben werden kann; gegen ihn darf daher kein Verspätungszuschlag festgesetzt werden.
2. Der Einkommensteueranspruch auf nach Insolvenzeröffnung erzielte Lohneinkünfte des Insolvenzschuldners stellt keine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit dar. Die auf den Neuerwerb anfallende Einkommensteuer ist grundsätzlich aus dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zu begleichen.
3. Ein als vorläufiger Insolvenzverwalter mit begleitendem allgemeinem Verfügungsverbot nach § 22 Abs. 1 InsO bestellter „starker” vorläufiger Insolvenzverwalter kann nach § 55 Abs. 2 S. 1 InsO Masseverbindlichkeiten begründen, nicht aber ein nur mit einem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausgestatteter vorläufiger Insolvenzverwalter.
4. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen/-verbindlichkeiten und Masseforderungen/- verbindlichkeiten richtet sich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es nicht an.
5. Ob es sich bei dem Einkommensteueranspruch betreffend die Veräußerung von Anlagegütern im Rahmen einer Betriebsaufgabe um eine Insolvenzforderung oder um eine Masseforderung des FA handelt, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Betriebsaufgabe als der den Steueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Kommt es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handelt es sich um eine Insolvenzforderung. Wird der steuerliche Tatbestand erst nach Verfahrenseröffnung vollständig verwirklicht, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor (Übertragung der zur Umsatzsteuer ergangenen BFH-Rechtsprechung auf den Bereich der Einkommensteuer).
6. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bedeutet für sich gesehen noch keine Betriebsaufgabe nach § 16 EStG.
7. Hat der Insolvenzschuldner Räumlichkeiten einer Grundstücksgemeinschaft, an der er selbst beteiligt ist, für sein Unternehmen genutzt sowie in dem letzten vor der Insolvenzeröffnung erstellten Jahresabschluss als Betriebsvermögen ausgewiesen, sind zwischenzeitlich keine Steuererklärungen mehr abgegeben und ist auch keine Betriebsaufgabe erklärt worden, so kann das FA davon ausgehen, dass der Insolvenzschuldner über eine gesicherte Rechtsposition zur betrieblichen Nutzung der Räumlichkeiten verfügt hat und sich das Insolvenzverfahren daher auch auf diese Räumlichkeiten erstreckt. Soweit durch die Entnahme dieser Räumlichkeiten nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung stille Reserven aufgedeckt werden, gehört die darauf entfallende Einkommensteuer zu den Masseverbindlichkeiten. Wurde keine Steuererklärung abgegeben und auch ansonsten keine frühere Entnahme nachgewiesen, darf das FA bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen von einer Zugehörigkeit der Räumlichkeiten zu Betriebsvermögen jedenfalls zum Zeitpunkt der Eröffnung des Betriebsvermögens ausgehen.
8. Ist der Insolvenzschuldner an einer Grundstücksgemeinschaft beteiligt, für die im Jahr der Insolvenzeröffnung positive Vermietungseinkünfte festgestellt werden, so gehört die darauf entfallende Einkommensteuer zu den Masseverbindlichkeiten, soweit sie auf den Zeitraum ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt. Das gilt unabhängig davon, ob der Insolvenzmasse tatsächlich entsprechende Geldbeträge aus den Vermietungseinkünften zufließen. Eine zeitanteilige Berechnung der auf den Zeitraum vor bzw. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallenden Vermietungseinkünfte auf der Grundlage von 360 Kalendertagen ist nicht zu beanstanden.
Normenkette
InsO § 22 Abs. 1-2, §§ 38, 53, 55 Abs. 1, 2 S. 1, § 54; EStG § 4 Abs. 1, 3, § 11 Abs. 1, § 16; AO § 152 Abs. 1 S. 2, §§ 162, 251 Abs. 3
Nachgehend