Leitsatz
1. Bei verheirateten aber dauernd getrennt lebenden Elternteilen kann die Übertragung des Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf von einem auf den anderen Elternteil nicht allein auf den Antrag eines Elternteils gestützt werden.
2. Die Übertragung des Kinderfreibetrags scheidet aus, wenn der Elternteil, dessen Freibetrag auf den anderen Elternteil übertragen werden soll, seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen ist.
3. Die Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf scheidet aus, wenn das Kind bereits volljährig ist oder bei dem Elternteil, dessen Freibetrag auf den anderen Elternteil übertragen werden soll, gemeldet ist.
4. Bei nicht zusammenveranlagten Elternteilen ist für die Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG dem Anspruch auf Kindergeld die Differenz zwischen der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen ohne Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen nach Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG gegenüberzustellen.
5. Führt die Vergleichsrechnung zu dem Ergebnis, dass die Freibetragsgewährung für den Steuerpflichtigen günstiger ist, ist die Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs erst nach Anwendung der Steuerermäßigungsvorschriften durchzuführen, mit der Folge, dass sich aus dem hinzugerechneten Kindergeldanspruch bei Anwendung der Steuerermäßigungsvorschriften kein zusätzliches Verrechnungspotenzial ergibt.
Normenkette
§ 2 Abs. 4 bis 6, § 31 Sätze 1 bis 4, § 32 Abs. 6, § 34c Abs. 1, § 34g, § 35a EStG
Sachverhalt
Der Kläger erzielte 2015 Entschädigungen aufgrund des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlamentes, auf die die EU eine Gemeinschaftssteuer erhob.
Sein 1997 geborener Sohn wohnt bei seiner Mutter, die seit 2010 vom Kläger dauernd getrennt lebt und das Kindergeld bezieht. Den Kinderfreibetrag und den BEA‐Freibetrag nahm antragsgemäß der Kläger in Höhe der auf beide Elternteile entfallenden Beträge in Anspruch.
Bei der ESt-Veranlagung ergab die vom FA vorgenommene Günstigerprüfung, dass die Freistellung des Existenzminimums des Kindes durch den Kindergeldanspruch vollständig bewirkt worden sei. Im ESt-Bescheid erfolgte danach kein Abzug der kindbedingten Freibeträge. Dabei ging das FA davon aus, dass bei der Steuerberechnung mit Kinderfreibetrag die EU-Steuer bereits vor der Hinzurechnung des Kindergelds auf die Steuer nach dem Grundtarif anzurechnen sei. Die Steuerermäßigungen nach § 34g und § 35a EStG könnten nicht berücksichtigt werden, da die tarifliche ESt bereits durch die Anrechnung der EU-Steuer auf 0 EUR reduziert werde.
Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 17.4.2019, 15 K 1127/18 E, Haufe-Index 13492519, EFG 2019, 1661). Es entschied, dass die Günstigerprüfung ohne Berücksichtigung der anzurechnenden EU-Steuer, der sonstigen Steuerermäßigungen und der Hinzurechnung des Kindergelds zu erfolgen habe.
Entscheidung
Die Revision führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Das FG hat im zweiten Rechtsgang zu prüfen, ob der Kläger den Kinderfreibetrag und den BEA‐Freibetrag der Kindsmutter überhaupt zu Recht in Anspruch genommen hat.
Hinweis
1. Kinderfreibetrag (2015: 2.256 EUR, jetzt 2.730 EUR) und BEA‐Freibetrag (2015:1.320 EUR, jetzt 1.464 EUR) stehen grundsätzlich jedem Elternteil zu, bei zusammen veranlagten Elternteilen verdoppeln sich die Beträge.
Unter welchen Voraussetzungen der Kinderfreibetrag und der BEA‐Freibetrag des anderen Elternteils in Anspruch genommen werden kann, ist sowohl bei zerstrittenen wie auch bei einvernehmlich mit dem Ziel der Steueroptimierung handelnden getrennt lebenden Eltern von Interesse. Die Übertragung ist unterschiedlich geregelt.
2. Der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag kann auf den seine Unterhaltspflichten erfüllenden Elternteil übertragen werden, wenn der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nicht nachkommt oder mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 6 EStG).
Eine Unterhaltspflichtverletzung des das Kind betreuenden Elternteils scheidet jedoch regelmäßig aus, weil die Unterhaltspflicht durch die Pflege und die Erziehung des Kindes erfüllt wird (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB).
3. Der BEA-Freibetrag für minderjährige Kinder des Elternteils, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, wird auf Antrag auf den anderen Elternteil übertragen. Der Übertragung kann widersprochen werden, wenn der Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind regelmäßig nicht unwesentlich betreut (§ 32 Abs. 6 Satz 8 und 9 EStG).
Eine Übertragung des BEA-Freibetrags setzt also voraus, dass das Kind (auch) bei dem Elternteil gemeldet ist, auf den übertragen werden soll. Die Übertragung für volljährige Kinder ist ausgeschlossen (BFH, Urteil vom 22.4.2020, III R 61/18, BFH/NV 2021, 56, BFH/PR 2021, 19).
4. Ein Zuordnungswahlrecht...