Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob der Staat Erstattungsansprüche wegen zu Unrecht erhobener MwSt nicht nur (einfach) verzinsen muss, sondern darüber hinaus Zinseszinsen schuldet. Die Klägerin hatte eine Erstattung von über mehrere Jahre zu viel entrichteter MwSt erhalten. Diese Erstattung ergab sich daraus, dass die Klägerin, ein Katalogversandhandelsunternehmen, über Jahre Provisionen, die sie an "Vertreter", die die Kataloge verteilen, gezahlt und diese als Gegenleistung für Dienstleistungen der Vertreter aufgefasst hatte. Tatsächlich konnten die Provisionen jedoch als Rabatte auf eigene Einkäufe der Vertreter bei der Klägerin angesehen werden, was zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage ihrer Ausgangsumsätze führte. Die Rückzahlung der zuviel entrichteten Ausgangsumsatzsteuer an die Klägerin erfolgte auf Grundlage von Sec. 80 des Value Added Tax Acts 1994 (VATA 1994). Die britische Finanzbehörde hatte zudem gemäß Sec. 78 des VATA 1994 Zinsen an die Klägerin gezahlt. Sec. 78 des VATA 1994 sieht dabei die Zahlung einfacher Zinsen vor, nicht aber eine Verzinsung der Zinsen (Zinseszins).
Die Klägerin hatte auch die Zahlung von Zinseszinsen geltend gemacht. Nach den Feststellungen des High Court waren die Voraussetzungen für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Klägerin hatte keine Schadensersatzklage wegen eines Verstoßes des Vereinigten Königreichs gegen das Unionsrecht erhoben, sondern eine Klage auf Rückerstattung von MwSt, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden war. Als Rechtsgrundlage für die Forderungen der Klägerin komme im innerstaatlichen Recht allein Sec. 80 in Verbindung mit Sec. 78 VATA in Betracht. Es stelle sich die Frage, ob das Unionsrecht die Zahlung von Zinseszinsen gebiete, die die genannten Vorschriften nicht vorsähen.
Der EuGH musste prüfen, ob es im Einklang mit dem Unionsrecht steht, wenn eine innerstaatliche Vorschrift im Fall von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben die Erstattung des Hauptbetrags und eine einfache Verzinsung des Betrags vorsieht, bzw. ob die Zahlung von Zinseszinsen ist unionsrechtlich geboten ist oder nicht. Auch wenn ein Erstattungsanspruch auf Unionsrecht beruht, könnte es den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, die Voraussetzungen und das Verfahren für die Erstattung näher auszugestalten sowie Nebenansprüche zu regeln, wobei sie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachten müssen. Insbesondere hatte der EuGH bisher entschieden, dass es - in Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung - den innerstaatlichen Stellen obliegt, alle mit der Erstattung zusammenhängenden Nebenfragen im Hinblick auf die Zahlung von Zinsen, insbesondere den Zinssatz und den Zeitpunkt, von dem an die Zinsen zu berechnen sind, nach ihren innerstaatlichen Vorschriften zu entscheiden (vgl. Urteile v. 15.9.1998, Ansaldo, C-279/96, C-280/96 und C-281/96, EuGHE 1998, I-5025, Rn. 28, v. 12.6.1980, Expreß Dairy Foods, 130/79, EuGHE 1980, 1887, Rn. 16 und 17 und v. 21.5.1976, Roquette/Kommission, 26/74, EuGHE 1976, 677, Rn. 11 und 12). Das Unionsrecht könnte von daher also unterschiedliche Zinssätze, eine unterschiedliche Dauer der Verzinsung und divergierende Ausschlussfristen in den Mitgliedstaaten in Kauf nehmen.
Entscheidung
Der EuGH hat mit Bezug auf frühere Rechtsprechung und diese bestätigend entschieden, dass der Unternehmer, der einen zu hohen MwSt-Betrag entrichtet hat, der vom betreffenden Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die MwSt-Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden ist, nach dem Unionsrecht, Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Steuer sowie Anspruch auf deren Verzinsung hat. Ob der Hauptbetrag nach einer Regelung über die einfache Verzinsung, einer Zinseszinsregelung oder einer anderen Regelung zu verzinsen ist, ist nach nationalem Recht unter Beachtung der Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz zu bestimmen. Der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass die nationalen Vorschriften, die u. a. die Berechnung eventuell zu zahlender Zinsen regeln, nicht dazu führen dürfen, dass dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung für die Einbußen, die er durch die zu Unrecht gezahlte MwSt erlitten hat, vorenthalten wird. Der EuGH scheint davon auszugehen, dass dies im Ausgangsverfahren nicht der Fall war. Die Klägerin hat einfache Zinsen in Höhe von rd. 270 Mio GP erhalten, was einer Zinsschuld über etwa 30 Jahre gleichkommt und den Hauptbetrag von rd. 205 Mio GBP um mehr als 23 % übersteigt. Der Äquivalenzgrundsatz verlangt nach dem EuGH-Urteil in dem hier gegebenen Zusammenhang, dass eine nationale Verzinsungsregelung in gleicher Weise für Rechtsbehelfe gilt, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für solche, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, wenn diese Rechtsbehelfe einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben. Diese Voraussetzungen muss das nationale Gericht prüfen.
Hinweis
Das deutsche Recht ...