Younes Melhem, Prof. Dr. Stefan Müller
Rz. 15
Umwandlungen stellen i. d. R. auf der Ebene des übertragenden Rechtsträgers einen Veräußerungsvorgang und auf Ebene des übernehmenden Rechtsträgers einen Anschaffungsvorgang dar. Die im Zuge einer Umwandlung i. S. d. UmwStG übergehenden Wirtschaftsgüter sind daher grundsätzlich in der Übertragungsbilanz des übertragenden Rechtsträgers mit ihrem "gemeinen Wert" anzusetzen, der sich gem. § 9 Abs. 2 BewG durch den Preis bestimmt, der sich bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts ergibt, wobei sämtliche preisbeeinflussenden Faktoren Berücksichtigung finden müssen. Daraus ergibt sich grundsätzlich eine Gewinnrealisierung bzw. Besteuerung der stillen Reserven. 03.07 UmwStE spezifiziert diesbezüglich, dass die Ermittlung des gemeinen Werts anhand eines allgemein anerkannten ertragswert- oder zahlungsstromorientierten Verfahrens erfolgen kann (welches ein gedachter Erwerber des Betriebs der übertragenden Körperschaft bei der Bemessung des Kaufpreises zu Grunde legen würde), sofern der gemeine Wert des übertragenden Rechtsträgers nicht aus Verkäufen abgeleitet werden kann. Abweichungen von einem Ansatz mit dem gemeinen Wert sind nur unter bestimmten Voraussetzungen und in Ausnahmefällen sowie erst nach Antrag zulässig (Wertansatzwahlrecht). Werden Ausnahmefälle tangiert, kann sich ein Ansatz mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert ergeben. § 11 UmwStG sieht – unter Einschränkungen – für den Ansatz in der steuerlichen Schlussbilanz für das letzte Wirtschaftsjahr der übertragenden Körperschaft vor, dass die übergegangenen Wirtschaftsgüter insgesamt mit dem Wert angesetzt werden, der sich nach den steuerrechtlichen Vorschriften über die Gewinnermittlung ergibt. § 3 UmwStG ermöglicht den Ansatz der Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem Buchwert oder einem höheren Wert, sofern das Vermögen der übertragenden Körperschaft Betriebsvermögen der übernehmenden Personengesellschaft oder der übernehmenden natürlichen Person wird. Als Voraussetzung gilt zudem die Anforderung, dass das Vermögen nicht aus der deutschen Steuerpflicht herauswächst (sog. Entstrickung). Wird diese Voraussetzung nicht erfüllt, erfolgt i. d. R. eine Sofortversteuerung (fiktive Entnahme im EStG bzw. Veräußerung eines Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert im KStG als Ersatzrealisationstatbestand).
Rz. 16
Erfolgt die Überführung des Wirtschaftsguts allerdings zu einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen innerhalb der EU, nicht jedoch innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats, sieht § 4g EStG die Antragsmöglichkeit zur Bildung eines steuerlichen Ausgleichpostens für die Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem Buchwert je Wirtschaftsgut – vor, der im Wirtschaftsjahr der Bildung und in den 4 Folgejahren gewinnerhöhend aufzulösen ist. Abweichend davon ist der Ausgleichsposten sofort gewinnerhöhend aufzulösen, wenn das Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen oder aus der Besteuerungshoheit des Mitgliedstaats ausscheidet. Das gleiche gilt, wenn die stillen Reserven des als entnommen geltenden Wirtschaftsguts im Ausland aufgedeckt werden oder in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts hätten aufgedeckt werden müssen. Der Brexit führt jedoch qua Fiktion des § 4g Abs. 6 EStG nicht zum Verlust der Besteuerungshoheit des Mitgliedstaats, sodass ein in Zusammenhang mit dem Vereinigten Königreich gebildeter Ausgleichsposten nicht durch den Brexit (und damit den Verlust der Eigenschaft als Mitgliedstaat der EU) zu einer sofortigen Gewinnerhöhung führt.
Rz. 17
Diese Regelungen finden über § 12 KStG entsprechende Anwendung bei Körperschaften. Für die identitätswahrende Sitzverlagerung einer SE bzw. SCE sieht § 12 Abs. 1 KStG allerdings eine Ausnahme von der Sofortbesteuerung vor. Diese greift, wenn Wirtschaftsgüter weiter in einer inländischen Betriebsstätte steuerpflichtig bleiben.