Leitsatz
1. Auch wenn Wärme unentgeltlich an andere Unternehmer für deren Unternehmen (wirtschaftliche Tätigkeit) abgegeben wird, handelt es sich um eine unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands im Sinne des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 UStG.
2. Der Besteuerung der unentgeltlichen Zuwendung steht nicht entgegen, dass die Leistungsempfänger die Wärme für Zwecke verwenden, die sie zum Vorsteuerabzug berechtigen.
3. Die Selbstkosten im Sinne des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG umfassen nicht nur die unmittelbaren Herstellungskosten oder Erzeugungskosten, sondern auch mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten handelt oder nicht.
Normenkette
§ 3 Abs. 1b Sätze 1 und 2, § 10 Abs. 4, § 15 Abs. 4 UStG, Art. 16 Satz 1 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit angeschlossener Biogasanlage. Der produzierte Strom wurde überwiegend in das allgemeine Stromnetz eingespeist und von dem Stromnetzbetreiber vergütet. Die erzeugte Wärme diente u. a. dem Produktionsprozess (Prozesswärme). Sie wurde außerdem u. a. kostenlos dem Unternehmer A zur Trocknung von Holz und der Unternehmerin B zur Beheizung ihrer Spargelfelder überlassen.
Im Streitjahr erhielt die Klägerin für die Lieferung von Strom die sog. Mindest-Einspeisevergütung (§ 8 Abs. 1 EEG) und den Erhöhungsbetrag (KWK-Bonus, § 8 Abs. 3 EEG).
Da die Klägerin den Wärmeabnehmern kein Entgelt in Rechnung stellte, ging das beklagte FA von einer unentgeltlichen Entnahme der Wärme i. S. v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG an A und B aus. Es setzte als Bemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG die Selbstkosten an. Den Einspruch wies es als unbegründet zurück.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin zunächst geltend, der KWK-Bonus sei ein Entgelt von dritter Seite für die Lieferung der Wärme. Das FG gab der Klage der Klägerin im ersten Rechtsgang statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.11.2013, 16 K 247/12, Haufe-Index 6528190). Der BFH (BFH, Urteil vom 31.5.2017, XI R 2/14, BFH/NV 2017, 1393) hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Der KWK-Bonus sei kein Entgelt für die Wärmeabgaben der Klägerin, sondern für die Lieferung von Strom an den Netzbetreiber. Die Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen Wertabgaben habe das FG zu ermitteln.
Im zweiten Rechtsgang wendete sich die Klägerin gegen die Berechnung der Selbstkosten durch das FA nach der energetischen Methode. Das FG gab der Klage im zweiten Rechtsgang teilweise statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.9.2019, 11 K 195/17, Haufe-Index 13586739, EFG 2020, 227). Es berechnete die anteiligen Selbstkosten nach der Marktwertmethode.
Der BFH (BFH, Beschluss vom 22.11.2022, XI R 17/20, BFH/NV 2023, 686, BFH/PR 2023, 686) hat den EuGH angerufen. Der EuGH hat die Vorlagefragen beantwortet (EuGH, Urteil vom 25.4.2024, C-207/23,EU:C:2024:352, BFH/NV 2024, 880).
Entscheidung
Der BFH wies die Revisionen als unbegründet zurück.
Hinweis
Das Besprechungsurteil ist die Nachfolgeentscheidung zu EuGH, Urteil vom 25.4.2024, C-207/23, Finanzamt X EU:C:2024:352, BFH/NV 2024, 880.
1. Der EuGH hat darin Folgendes entschieden:
Antwort 1: "Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG …ist dahin auszulegen, dass es sich um eine einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellte Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen als unentgeltliche Zuwendung im Sinne dieser Bestimmung handelt, wenn der Steuerpflichtige von ihm erzeugte Wärme unentgeltlich an andere Steuerpflichtige für deren wirtschaftliche Tätigkeit abgibt, wobei es hierfür nicht darauf ankommt, ob diese anderen Steuerpflichtigen die Wärme für Zwecke verwenden, die sie zum Vorsteuerabzug berechtigen."
Antwort 2: "Art. 74 der Richtlinie 2006/112/EG ist dahin auszulegen, dass der Selbstkostenpreis im Sinne dieser Bestimmung nicht nur die unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten umfasst, sondern auch mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten handelt oder nicht."
2. Da die Antworten des EuGH sich mit der bisherigen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre sowie der Verwaltungsauffassung in Deutschland zu diesen Fragen decken und das FG diese zugrunde gelegt hatte, konnte der BFH das Urteil des FG bestätigen.
3. Trotzdem enthält das Urteil in den Rz. 26 ff. die für die Rechtspraxis wichtige Aussage, dass die Finanzverwaltung die Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen Wertabgabe nicht nach der richtigen Methode berechnet. Die Verwaltung wendet bisher die energetische Methode an, während der BFH die Aufteilung nach der Marktwertmethode vornimmt. Ein konkretes Berechnungsbeispiel hierfür enthält BFH, Urteils vom 15.3.2022, V R 34/20, Rz. 22, BFH/NV 2022, 1013. Das BMF wird Abschnitt 2.5 UStAE insoweit anpassen (müssen).
4. Ebenfalls praktisch bedeutsam ist, dass der BFH in den Rz. 23 ff. des Bes...