Leitsatz
1. Der Ausschluss ausländischer Fonds von den für inländische Fonds geltenden Regelungen des § 11 Abs. 1 und 2 des Investmentsteuergesetzes 2004 verstößt gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Deshalb hat ein ausländischer Investmentfonds, der unter der Geltung des Investmentsteuergesetzes 2004 mit Kapitalertragsteuer belastete Dividenden inländischer Aktiengesellschaften bezogen hat, einen Anspruch auf Erstattung der unionsrechtswidrig erhobenen Kapitalertragsteuer.
2. Zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs muss der ausländische Investmentfonds innerhalb der Festsetzungsfrist einen Freistellungsbescheid beantragen. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre und beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Kapitalerträge zugeflossen sind.
3. Der Erstattungsanspruch ist aus unionsrechtlichen Gründen zu verzinsen.
4. Zur Höhe des unionsrechtlichen Verzinsungsanspruchs.
Normenkette
§ 11 Abs. 1 und 2, § 4 Abs. 2 Satz 7, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2 InvStG 2004, Art. 63 AEUV, § 2 Nr. 1, § 5 Abs. 2 Nr. 1 KStG, § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 233a Abs. 1 Satz 2, § 236, § 238 Abs. 1 AO
Sachverhalt
Der Kläger ist ein in Frankreich ansässiger Fonds Commun de Placement (FCP), der als Zweckvermögen i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG zu qualifizieren wäre, wenn er im Inland ansässig wäre. Er bezog in den Streitjahren Ausschüttungen inländischer Kapitalgesellschaften, auf die zunächst KapESt und SolZ (zusammen: 26,375 %) einbehalten wurde. Der auf Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 25b Abs. 4 DBA Frankreich gestützte Ermäßigungsanspruch wurde von der Depotbank des Klägers, der …, nach Maßgabe des § 50d Abs. 1 Satz 6 und 7 EStG gegenüber dem BZSt geltend gemacht (Erstattung von KapESt und SolZ i.H.v. zusammen 11,375 %).
Mit Schreiben vom 11.12.2014 beantragte der Kläger, ihm die verbliebene 15%ige KapESt für die Streitjahre zuzüglich Zinsen zu erstatten. Zur Begründung stützte er sich im Wesentlichen darauf, dass er mit einer nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG 2004 von der KSt befreiten inländischen Investmentaktiengesellschaft typengleich und damit nach Maßgabe der Kapitalverkehrsfreiheit gleich zu behandeln sei, die deutsche KapESt-Belastung aber wegen fehlender Besteuerung des Klägers in Frankreich nicht durch eine abkommensbasierte Anrechnungsanordnung neutralisiert werde und es für die Nichterstattung der KapESt auch keine unionsrechtlich anerkannte Rechtfertigung gebe. Der Antrag wurde wegen der Unsicherheiten bei der Beurteilung der Verwaltungszuständigkeiten sowohl jeweils bei den FA der ausschüttenden Körperschaften, die die KapESt vereinnahmt hatten, in Höhe der jeweils vereinnahmten KapESt, als auch beim BZSt im Hinblick auf den Gesamtbetrag (... EUR) angebracht. Außerdem wurden beim FA A als dem für den Zentralverwahrer zuständigen FA sowie den (Vermögensschwerpunkt‐)FA, in deren Bezirk sich im jeweiligen Jahr die wertvollsten Beteiligungen des Klägers befanden, für die Streitjahre Anträge auf Erstattung von Dividenden-KapESt auf Basis der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 AEUV gestellt. Mit den betroffenen FA schloss das FA F Zuständigkeitsvereinbarungen ab, denen der Kläger gegenüber der Oberfinanzdirektion … mit E‐Mail vom 18.7.2016 zustimmte.
Das FA F lehnte die Anträge des Klägers mit Bescheid vom 14.12.2016 ab, weil eine etwaige unionsrechtliche Diskriminierung jedenfalls durch den Rechtfertigungsgrund der Kohärenz gerechtfertigt sei. Gegen die Ablehnung erhob der Kläger Einspruch, der mit Entscheidung vom 19.4.2017 vom FA F als unbegründet zurückgewiesen wurde. Auch die Klage blieb ohne Erfolg (Hessisches FG, Urteil vom 21.8.2019, 4 K 999/17, Haufe-Index 13628809, EFG 2020, 462).
Entscheidung
Die Revision des Klägers war erfolgreich und führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
Hinweis
1. Die Besprechungsentscheidung betrifft zwar das "alte" Investmentsteuerrecht. Sie ist aber rechtlich bedeutsam und vor allem auch von ganz erheblicher finanzieller Tragweite (siehe 7.).
2. Das Investmentsteuergesetz 2004 unterschied in ganz grundsätzlicher Weise inländische Fonds und ausländische Fonds. Während Erstere ertragsteuerbefreit und auch im Ergebnis nicht mit Quellensteuer belastet waren (§ 11 Abs. 1 und 2 InvStG 2004), kamen diese Vergünstigungen ausländischen Fonds generell nicht zugute. Ausländische Fonds wurden daher entweder zur beschränkten KSt-Pflicht herangezogen (z.B. bei inländischen Immobilieneinkünften) oder ihre Kapitaleinkünfte wurden abgeltend mit KapESt belastet.
3. Seit Jahren wird diskutiert, ob diese offenkundige Ungleichbehandlung mit der unionsrechtlich verbürgten Kapitalverkehrsfreiheit zu vereinbaren ist. Der EuGH hatte wiederholt Entscheidungen zu ausländischen Investmentsteuergesetzen getroffen, die ähnliche Differenzierungen wie das deutsche Recht enthielten. Sämtliche Urteile des EuGH führten zur Beanstandung der nationalen Gesetze.
4. Vor diesem Hintergrund rief der BFH in einem anderen Revisionsverfahren im Jahr 2019 den Eu...