Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft. Der Kläger ist ein privater Waldbesitzer, der binnen eines Jahres Einnahmen aus Holzlieferungen in Höhe von 10.000 LVL erzielt hatte, weshalb er nach lettischem Recht verpflichtet war, sich als Unternehmer registrieren zu lassen. Gegen ihn wurde MwSt und eine Geldbuße festgesetzt. Der Kläger meinte, er habe keine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit ausgeübt, da das Holz verkauft worden sei, um die Auswirkungen der im Januar 2005 entstandenen Sturmschäden abzumildern.
Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob eine natürliche Person, die einen Wald für ihren persönlichen Bedarf erworben hat und Holzlieferungen zur Abmilderung der Auswirkungen eines Ereignisses höherer Gewalt (z. B. eines Sturms) tätigt, ein Unternehmer im Sinne von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL bzw. Art. 4 Abs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie ist.
Entscheidung
Der EuGH hat - im wesentlichen unter Bezugnahme auf sein Urteil v. 26.9.1996, C-230/94 (Enkler) entschieden, dass im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Tätigkeit und damit Unternehmereigenschaft anzunehmen sein kann. Der EuGH bekräftigt, dass der Begriff "wirtschaftliche Tätigkeit" i.S. von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL einen objektiven Charakter hat, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, zu betrachten ist. Daher kann der vorliegende Zweck des Holzverkaufs, Auswirkungen eines Sturms als Ereignis höherer Gewalt nicht entscheidend sein. Der Verkauf von Früchten eines körperlichen Gegenstands, etwa der Verkauf von Holz aus einem Privatforst, ist nach dem Urteil als "Nutzung" dieses Gegenstands i.S.von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL anzusehen.
Eine wirtschaftliche Tätigkeit muss zugleich der nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dienen. Bei der Nutzung eines Privatforstes ist dies eine Tatsachenfrage, die unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten des Einzelfalls, wozu u. a. die Art des betreffenden Gegenstands gehört, beurteilt werden muss. Wird ein Gegenstand üblicherweise ausschließlich wirtschaftlich genutzt, ist dies bereits nach dem EuGH-Urteil in der Sache Enkler im Allgemeinen ein ausreichendes Indiz dafür, dass sein Eigentümer ihn für Zwecke wirtschaftlicher Tätigkeiten und folglich zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen nutzt. Kann ein Gegenstand dagegen seiner Art nach sowohl zu wirtschaftlichen als auch zu privaten Zwecken verwendet werden, sind alle Umstände seiner Nutzung zu prüfen, um festzustellen, ob er tatsächlich zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen verwendet wird. Wenn der Betroffene aktive Schritte der Forstwirtschaft unternimmt, indem er sich ähnlicher Mittel wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL bedient, ist die fragliche Tätigkeit als "wirtschaftliche Tätigkeit" zu beurteilen. Aus den Holzlieferungen als Zweck zur Abmilderung von Sturmschäden lässt sich alleine noch nicht der Schluss ziehen, es liege nur eine gelegentliche und keine nachhaltige Tätigkeit vor. Mit entscheidend, ob Unternehmereigenschaft vorliegt, sind die Dauer des Zeitraums, in dem Lieferungen bewirkt wurden, die Zahl der Kunden und die Höhe der Einnahmen.
Die lettische Finanzbehörde hatte gegen den Kläger wegen der Nichtregistrierung zur Umsatzsteuer eine Geldbuße verhängt, die 18 % des Wertes der Holzlieferungen betrug, was dem damals geltenden lettischen Normalsteuersatz entsprach. Hierzu hat der EuGH mit Bezug auf frühere Rechtsprechung entschieden, dass die Mitgliedstaaten nach der MwStSystRL nicht gehindert sind, bei Verletzung steuerlicher Mitwirkungspflichten Sanktionen zu wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen. Solche Sanktionen dürfen jedoch nicht unverhältnismäßig sein und müssen sich an der Schwere des Verstoßes orientieren. Ob im Ausgangsfall die Geldbuße unverhältnismäßig war, muss das nationale Gericht entscheiden.
Hinweis
Der EuGH ist erwartungsgemäß für die fraglichen Holzlieferungen von einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgegangen. Auch nach deutschem Recht könnte im vorliegenden Fall insbesondere von Nachhaltigkeit auszugehen sein, wenngleich diese regelmäßig nur im Einzelfall verbindlich beurteilt werden kann, wie es auch Abschn. 2.3 Abs. 5 ff. UStAE vorsieht. Das deutsche Verfahrensrecht enthält im Übrigen keine dem lettischen Recht vergleichbare Sanktion, die mit der Verletzung einer Registrierungspflicht einhergeht.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-263/11