Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern

Nachdem der BFH seine bisherige Rechtsprechung zur Unternehmereigenschaft eines Aufsichtsrats ändern musste, regelt die Finanzverwaltung – mit einer bis 31.12.2021 befristeten Übergangsregelung –, dass bei einer nicht variablen Festvergütung keine unternehmerische Betätigung eines Aufsichtsrats (Beirats o. ä.) vorliegt.

Aufsichtsratsmitglieder wie auch Mitglieder anderer Aufsichtsgremien wurden früher unterschiedslos als Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG angesehen. Nachdem der EuGH zumindest in den Fällen, in denen die Tätigkeit ohne ein Vergütungsrisiko ausgeübt wurde, die Unternehmereigenschaft verneint hatte, musste der BFH diesen Vorgaben folgen. Die Finanzverwaltung setzt dies jetzt mit einer Nichtbeanstandungsfrist bis Ende 2021 um und differenziert die Eigenschaft der Aufsichtsperson anhand der erhaltenen Vergütung.

Die rechtliche Problematik

Die Unternehmereigenschaft ist national abschließend über § 2 Abs. 1 UStG geregelt. Danach ist Unternehmer, wer selbstständig, nachhaltig und mit der Absicht Einnahmen zu erzielen tätig wird. Aufsichtsräte wurden bisher unterschiedslos als Unternehmer angesehen (z. B. BFH Urteil vom 20.08.2009 - V R 32/08, BStBl 2010 II S. 88). Nachdem der EuGH (Urteil vom 13.06.2019 - C-420/18 (IO), BFH/NV 2019 S. 1053) in einem Verfahren, in dem ein Aufsichtsrat für seine Tätigkeit nur eine feste Vergütung erhielt, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhing, die Unternehmereigenschaft verneint hatte, musste der BFH (Urteil vom 27.11.2019 - V R 23/19, BFH/NV 2020 S. 480) in einem parallel in Deutschland anhängigen Verfahren diesen Vorgaben folgen. Auch in dem Verfahren beim BFH ging es um eine Aufsichtsratstätigkeit, bei der nur eine nicht variable Festvergütung gezahlt wurde; die Beurteilung bei einer von der Tätigkeit abhängigen Vergütung lies der BFH in diesem Verfahren aber ausdrücklich offen.

Interessant ist die Frage aus wirtschaftlicher Sicht dann, wenn die Aufsichtsratstätigkeit (Beirat o. ä.) bei einer Organisation ausgeübt wird, die aufgrund fehlender Unternehmereigenschaft (z. B. bei karitativen, religiösen, o. ä. Einrichtungen) oder aufgrund eigener steuerfreier, den Vorsteuerabzug ausschließender Ausgangsleistungen keinen Vorsteuerabzug für die von den Kontrollgremien berechnete Umsatzsteuer hat. Deshalb mussten sich in letzter Zeit auch diverse Finanzgerichte mit der Unternehmereigenschaft von Aufsichtsräten, Beiräten oder Verwaltungsräten auseinandersetzen (z. B. Niedersächsisches FG Urteil vom 19.11.2019 - 5 K 282/18; FG Hamburg Urteil vom 08.09.2020 - 6 K 131/18; Niedersächsisches FG Urteil vom 08.10.2020 - 5 K 162/19; FG Köln Urteil vom 26.11.2020 - 8 K 2333/18). In allen Verfahren kamen die Finanzgerichte – auch bei geringfügig von der Tätigkeit abhängigen Vergütungen – zu dem Ergebnis, dass die Aufsichtsratstätigkeit nicht im Rahmen einer unternehmerischen Betätigung ausgeführt wurde.

Das BMF-Schreiben v. 8.7.2021

Wichtig: Das BMF-Schreiben ergänzt den UStAE um einen Abschn. 2.2 Abs. 3a UStAE.

Die Finanzverwaltung setzt die vom BFH aufgrund der Rechtsprechung des EuGH vorgegebene Linie um und sieht die Tätigkeit eines Aufsichtsrats dann nicht als eine selbstständige Tätigkeit an, wenn aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko getragen wird (Abschn. 2.2 Abs. 3a Satz 1 UStAE). Dabei ist es unerheblich, ob die Vergütung als Geldleistung oder in Form von Sachzuwendungen erfolgt. Ebenso ist es für die Frage des Vergütungsrisikos unerheblich, ob die Vergütung (nachträglich) für mehrere Jahre gezahlt wird (Abschn. 2.2 Abs. 3a Satz 9 UStAE).

Sitzungsgelder für tatsächliche Teilnahme keine Festvergütung

Wichtig: Die Grundaussage gilt aber nur dann, wenn eine Festvergütung (z. B. als pauschale Aufwandsentschädigung) gezahlt wird. Sitzungsgelder, die nur für die tatsächliche Teilnahme an Sitzungen gezahlt werden, sowie nach dem tatsächlichen Aufwand bemessene Aufwandsentschädigungen stellen keine solchen Festvergütungen dar und führen dann – bis auf eine Bagatellregelung – zur Unternehmereigenschaft.

Gemischte Vergütung

Für den Fall, dass eine sowohl aus festen als auch aus variablen Bestandteilen bestehende Vergütung gezahlt wird, regelt die Finanzverwaltung, dass grundsätzlich eine unternehmerische Betätigung vorliegen soll, wenn die variablen Bestandteile im Kalenderjahr mindestens 10 % der gesamten Vergütung betragen (einschließlich der erhaltenen Aufwandsentschädigungen). Dies ist für jedes Mandat eines Aufsichtsrats separat zu prüfen.

Wichtig: Reisekostenerstattungen stellen dabei nach Auffassung der Finanzverwaltung keine Vergütungsbestandteile dar und sind deshalb bei der Ermittlung der 10 %-Grenze nicht zu berücksichtigen.

Weitere Grundsätze

Darüber hinaus trifft die Finanzverwaltung in Abschn. 2.2 Abs. 3a UStAE noch die folgenden Feststellungen:

  • Ein Aufsichtsrat ist bei einer gezahlten Festvergütung nicht alleine deshalb selbstständig tätig, weil er unter den Bedingungen des § 116 AktG für pflichtwidriges Verhalten haftet (Abschn. 2.2 Abs. 3a Satz 10 UStAE).
  • Bei Beamten und anderen Bediensteten einer Gebietskörperschaft, die die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung des Arbeitgebers (Dienstherrn) übernommen haben und die bis auf einen festgelegten Teil die Vergütung abführen müssen, wird es bei einem bestehenden Vergütungsrisiko nicht beanstandet, wenn diese allein aufgrund dieser Tätigkeit als nicht selbstständig tätig behandelt werden (Abschn. 2.2 Abs. 3a Satz 11 UStAE).
  • Für Mitglieder der Bundes- oder einer Landesregierung wird ebenfalls nicht beanstandet, wenn die Tätigkeit als nicht selbstständig angesehen wird, soweit sie im Zusammenhang mit ihrer Zugehörigkeit zur Regierung einem Aufsichtsrat angehören und einer zumindest teilweisen öffentlich-rechtlichen Abführungspflicht unterliegen (Abschn. 2.2 Abs. 3a Satz 12 UStAE).
  • Die Finanzverwaltung streicht auch den bisher aufgrund der Rechtsprechung des BFH  enthaltenen Hinweis im UStAE (bis 8.7.2021 Abschn. 2.2 Abs. 3 Satz 1 UStAE) , dass auch ein Kommanditist als Mitglied eines Beirats, dem vor allem Zustimmungs- und Kontrollrechte übertragen sind, gegenüber der Gesellschaft selbstständig tätig ist (BFH Urteil vom 24.08.1994 - XI R 74/93, BStBl 1995 II S. 150).

Regelungen gelten auch für Ausschussmitglieder

Wichtig: Die Grundsätze gelten nicht nur für Aufsichtsräte, sondern auch für Mitglieder von Ausschüssen, die der Aufsichtsrat nach § 107 Abs. 3 AktG (typischerweise Prüfungsausschüsse) bestellt hat, sowie für Mitglieder von Gremien, die nicht der Ausübung, sondern der Kontrolle der Geschäftsführung einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung dienen (Abschn. 2.2 Abs. 3a Satz 13 UStAE).

Anwendung der neuen Regelungen

Die neuen Regelungen sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Die Finanzverwaltung gewährt jedoch eine Übergangsregelung, nach der es für alle Leistungen, die bis zum 31.12.2021 ausgeführt werden, nicht beanstandet wird, dass von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen wird, wenn kein Vergütungsrisiko vorliegt. Dies gilt auch für den Vorsteuerabzug des jeweiligen Leistungsempfängers. Ebenso können Beamte oder politische Mandatsträger, die aufgrund einer unmittelbaren Verknüpfung mit dem Amt eine solche Tätigkeit mit Vergütungsrisiko ausüben, dies noch bis 31.12.2021 als nichtselbstständige Tätigkeit behandeln.

Konsequenzen für die Praxis

Es ist zu begrüßen, dass die Finanzverwaltung nunmehr 2 Jahre, nachdem der EuGH grundsätzlich die undifferenzierte Behandlung von Aufsichtsräten als Unternehmer in Frage stellte, ihre Rechtsauffassung veröffentlicht hat. Notwendig und ebenfalls zu begrüßen ist auch die Nichtbeanstandungsregelung für die bis zum 31.12.2021 ausgeführten Leistungen. Es muss dennoch bezweifelt werden, ob dies schon die letzte Antwort auf eine Reihe von offenen Fragen sein kann.

Der EuGH (Urteil vom 13.06.2019 - C-420/18 (IO), BFH/NV 2019 S. 1053, hier Rz. 41 und Rz. 42) hatte seine Entscheidung auf 2 Argumente gestützt. Zum einen das auch in der nationalen Rechtsprechung aufgenommene Kriterium des fehlenden Vergütungsrisikos bei einer nicht variablen Festvergütung. Zum anderen ist aber auch hinterfragt worden, ob eine unternehmerische Betätigung vorliegen kann, wenn das einzelne Aufsichtsratsmitglied nur als Mitglied des Gesamtgremiums handelt. Der EuGH stellte in diesem Zusammenhang fest, dass das einzelne Mitglied insoweit nicht in eigener Verantwortung handelt. National wird bei der Beurteilung der Tätigkeit des Aufsichtsrats ausschließlich auf die Frage des Vergütungsrisikos abgestellt.

Handlungsoptionen für Leistungen bis Jahresende

Für die Handlungsnotwendigkeiten für Aufsichtsräte, Beiräte, Verwaltungsräte o. ä. müssen für die bis zum 31.12.2021 ausgeführten Leistungen 2 grundsätzlich unterschiedliche Fälle betrachtet werden:

  1. Das Aufsichtsratsmitglied ist für eine Einrichtung/ein Unternehmen tätig, die/das selbst aufgrund unternehmerischer Leistungen (voll) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. In diesem Fall ist – soweit nur eine nicht variable Festvergütung vorliegen sollte – die neue Sichtweise zumindest für den Aufsichtsrat nachteilig. Zwar hat er aufgrund seiner jetzt als nicht selbstständig einzuordnenden Tätigkeit keine umsatzsteuerrechtlichen Deklarationspflichten mehr zu erfüllen. Da keine Unternehmereigenschaft mehr vorliegt, kann jedoch auch für damit im Zusammenhang stehende Eingangsleistungen kein Vorsteuerabzug mehr geltend gemacht werden (z. B. aus Beratungskosten, Literatur, Reisekosten). In diesen Fällen ist anzuraten, die eingeräumte Nichtbeanstandungsregelung auszuschöpfen.
  2. Das Aufsichtsratsmitglied ist für eine Einrichtung/ein Unternehmen tätig, die/das selbst aufgrund fehlender Unternehmereigenschaft oder selbst vorsteuerabzugsschädlicher Ausgangsleistungen nicht (voll) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist; dies betrifft insbesondere Verwaltungsbeiräte o. ä. bei berufsständischen Versorgungswerken. In diesem Fall muss geprüft werden, ab wann die aktuelle Rechtslage – soweit aufgrund einer Festvergütung kein Vergütungsrisiko besteht – angewendet werden sollte. Grundsätzlich kann die Einordnung als nichtunternehmerische Tätigkeit in allen offenen Fällen beantragt werden. Allerdings sind in diesen Fällen die Konsequenzen zu betrachten. Soweit von dem Aufsichtsrat o. ä. in einer Abrechnung Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen wurde, würde es sich in den Fällen, in denen jetzt rückwirkend die Unternehmereigenschaft verneint würde, um einen unberechtigten Steuerausweis i. S. d. § 14c Abs. 2 UStG handeln (eine Ausnahme würde nur dann bestehen, wenn die Einrichtung mit einer Gutschrift nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG abgerechnet hätte; vgl. dazu BFH Urteil vom 27.11.2019 - V R 23/19, BFH/NV 2020 S. 480).  Dieser müsste unter Einbeziehung der Finanzverwaltung korrigiert werden und der an den Aufsichtsrat ausgezahlte Umsatzsteuerbetrag wäre dann an die Einrichtung vom Aufsichtsrat zu erstatten. Gleichzeitig würde der Aufsichtsrat seinen Vorsteuerabzug für damit im Zusammenhang stehende Eingangsleistungen verlieren. Insoweit müsste hier zwischen Aufsichtsrat und der Einrichtung zumindest abgestimmt werden, wer die sich aus einer rückwirkenden Änderung ergebenden finanziellen Belastungen zu tragen hat.

Praxis-Tipp: Auswirkungen auf Dritte beachten

Soweit der Aufsichtsrat nach der geltenden Rechtslage nicht unternehmerisch tätig sein sollte, muss beachtet werden, dass dies auch Auswirkungen auf Dritte haben kann. Hat z. B. ein Unternehmensberater (Rechtsanwalt o. ä.) auch verschiedene Aufsichtsratsmandate, bei denen er jeweils nur Festvergütungen erhält und führt er diese Tätigkeit einheitlich neben seiner unternehmerischen Betätigung aus angemieteten Büroräumen aus, stellt sich die Frage, ob der Vermieter bei der Vermietungsleistung noch nach § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerfreiheit der Büroraumvermietung verzichten kann. Da die Option bei einer Vermietung grds. die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers voraussetzt, wird dieses Optionsrecht wohl entfallen. Auch wird die Aufsichtsratstätigkeit sich nicht auf einzelne Räume beschränken lassen.

Bedeutung für andere Fälle

Darüber hinaus – und dies wird die Diskussion und Rechtsprechung der Zukunft zeigen – ist zu hinterfragen, welche weiteren Auswirkungen sich auf andere Fälle durch die jetzt umgesetzte Rechtsprechung des EuGH/BFH ergeben. Wenn (allein) aufgrund eines nicht vorhandenen Vergütungsrisikos die Unternehmereigenschaft des Aufsichtsrats verneint wird, muss systematisch hinterfragt werden, ob die 2002 vom BFH (Urteil vom 06.06.2002 - V R 43/01, BStBl 2003 II S. 36) aufgrund der Holding-Rechtsprechung des EuGH angenommene Unternehmereigenschaft des (Gesellschafter-)Geschäftsführers einer Personengesellschaft so haltbar sein kann. Tragende Voraussetzung für die unternehmerische Tätigkeit eines solchen Geschäftsführers einer Personengesellschaft ist gerade eine vom Gewinn der Gesellschaft unabhängige Vergütung (vgl. auch Abschn. 1.6 Abs. 4 UStAE). Ob sich ein für die Unternehmereigenschaft relevantes Vergütungsrisiko alleine aus einer theoretischen Kündigungsmöglichkeit ableiten lässt, kann zumindest hinterfragt werden.

BMF, Schreiben v. 8.7.2021, III C 2 - S 7104/19/10001 :003, veröffentlicht am 19.7.2021

Aktueller Hinweis des Redaktion v. 29.03.2022: Anpassung des UStAE

Mit Schreiben v. 29.3.2022 hat die Finanzverwaltung den UStAE geändert und weitere Praxisfragen beantwortet. Dabei wurden auch Nichtbeanstandungsregelungen für eventuelle Übergangsschwierigkeiten getroffen.

BMF, Schreiben v. 29.3.2022, III C 2 - S 7104/19/10001 :005


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