Leitsatz
1. Eine Gemeinde, die nicht auf privatrechtlicher, sondern auf hoheitlicher Grundlage Stellplätze für Pkw in einer Tiefgarage gegen Entgelt überlässt, handelt als Unternehmer und erbringt steuerpflichtige Leistungen, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 KStG).
2. Eine derartige Wettbewerbsverzerrung liegt auch vor, wenn eine Gemeinde Stellplätze zwar nach §§ 45, 13 StVO öffentlich-rechtlich auf einer öffentlich-rechtlich gewidmeten "Straße" überlässt, es sich hierbei jedoch um Flächen einer Tiefgarage handelt (Änderung der Rechtsprechung).
3. Zur Bestimmung des Begriffs der "größeren Wettbewerbsverzerrungen".
Normenkette
§ 2 Abs. 3 UStG 1999, § 4 KStG, § 45, § 13 StVO, Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Eine Gemeinde widmete in ihrer Tiefgarage die Stellplätze als Gemeindestraße. Es galt ein Parkverbot i.V.m. öffentlich-rechtlicher Gebührenordnung für Parkuhren: Gebührenpflicht während der Geschäftszeiten. Das FA sah darin einen Betrieb gewerblicher Art. Das FG gab der Klage statt (FG Köln, Urteil vom 16.12.2010, 10 K 4108/09, Haufe-Index 2604244, EFG 2011, 676). Wegen der zeitlich begrenzten Gebührenpflicht fehle eine Wettbewerbssituation mit Privaten.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen Erfolg. Keinen Erfolg hatte die Klägerin mit dem Einwand, ihre Preise lägen nicht unter denen privater Anbieter und Ziel sei die Verkehrsberuhigung der Innenstadt gewesen.
Hinweis
1. Für die Umsatzbesteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) gelten bei richtlinienkonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 KStG folgende Grundsätze: Voraussetzung ist eine wirtschaftliche Tätigkeit (nachhaltige Betätigung zur Erbringung entgeltlicher Leistungen), die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt. Werden jPöR – wie jeder andere Unternehmer – auf privatrechtlicher Grundlage tätig (Vertrag), gelten für sie keine Besonderheiten. Werden sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig (z.B. durch Verwaltungsakt, im Streitfall aufgrund § 45, § 13 StVO), sind sie nur Unternehmer, wenn die Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
2. Die wirtschaftliche Tätigkeit der jPöR "hebt sich aus ihrer Gesamttätigkeit heraus", wenn sie zu anderen Unternehmen unmittelbar in Wettbewerb tritt und sich die wirtschaftliche Tätigkeit von ihrer übrigen Betätigung deutlich abgrenzt. Bestimmte Gewinn- und Umsatzgrenzen, wie sie immer noch im UStAE Abschn. 2.11 vorgesehen sind, lassen sich mit den umsatzsteuerrechtlichen Erfordernissen (so der BFH seit 1979) nicht vereinbaren. Die Überlassung von Pkw-Stellplätzen in einer Tiefgarage – wie im Besprechungsfall – hebt sich aus der Gesamttätigkeit einer Gemeinde heraus.
3. „Größere "Wettbewerbsverzerrungen" – so der EuGH – bedeutet: Nur unbedeutende Wettbewerbsverzerrungen sind zu vernachlässigen. Es müssen also keine "erheblichen" oder "außergewöhnlichen" Wettbewerbsverzerrungen sein. Auch der potenzielle Wettbewerb ist zu berücksichtigen, wobei – so die EuGH-Vorgabe – nicht die konkreten Verhältnisse auf dem jeweiligen "lokalen Markt", sondern die Art der Tätigkeit entscheidend ist. Gleichwohl ist zu beachten, dass "potenzieller Wettbewerb" jedenfalls nicht die rein theoretische, durch keine Tatsache, kein objektives Indiz und keine Marktanalyse untermauerte Möglichkeit ist, dass ein privater Wirtschaftsteilnehmer in den relevanten Markt eintritt.
4. Bei der Parkraumüberlassung muss in Bezug auf die Art der Tätigkeit unterschieden werden zwischen unselbstständigen Parkflächen, die in den Straßenkörper einer Straße derart einbezogen sind, dass sie mit ihm eine Einheit bilden, und selbstständigen Parkplatzflächen, die gegenüber der Straße, mit der sie durch eine Zufahrt verbunden sind, selbstständige Bedeutung haben. Diese Unterscheidung, die sich im Straßenrecht findet – ohne dass insoweit eine rechtliche Bindung an die straßenrechtliche Beurteilung besteht –, ist ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Wettbewerbsprüfung. Denn selbstständige Parkflächen kann – anders als in die Straße integrierte Stellflächen – grundsätzlich auch ein privater Unternehmer vorhalten. Allein die Rechtsgrundlage für die Parkplatzüberlassung (hier § 45, § 13 StVO) ist dagegen nicht entscheidend (insoweit anders noch BFH-Urteil vom 27.2.2003, V R 78/01, BFH/NV 2003, 1018, BFH/PR 2003, 350).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 1.12.2011 – V R 1/11