Leitsatz
Der Hinweis auf eine Änderung zum Nachteil des Einspruchsführers ist nur dann – ausnahmsweise – entbehrlich, wenn eine erhöhte Steuerfestsetzung (Feststellung) auch nach Rücknahme des Einspruchs möglich gewesen wäre, wenn sich also die Verböserung durch Einspruchsrücknahme nicht hätte vermeiden lassen. Ist zweifelhaft, ob eine Änderung noch möglich ist, darf auf den Hinweis nicht verzichtet werden.
Normenkette
§ 360 Abs. 3, § 367 Abs. 2 Satz 2 AO
Sachverhalt
Der Kläger war neben F und G Mitgesellschafter einer Sozietät zu je 1/3. Als sich die Gesellschaft nach dem Ausscheiden des F auseinandersetzte, stellte das FA den Gewinn erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Gegen den Bescheid legte F, für den ein hoher Veräußerungsgewinn festgestellt worden war, Einspruch ein, über den zunächst nicht entschieden wurde.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung erließ das FA dann einen Änderungsbescheid, mit dem es bei gleichem Gesamtgewinn der Sozietät die Verteilung auf die Gesellschafter änderte und den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob. Gegen diesen Bescheid wandten sich alle drei Gesellschafter. Der Kläger und G begehrten die jeweils hälftige Zurechnung eines laufenden Verlusts (wie im ursprünglichen Bescheid), F begehrte, keinenVeräußerungsgewinn zugerechnet zu bekommen.
Noch während des Einspruchsverfahrens wurde über das Vermögen des F das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Das FA betrieb die drei Einspruchsverfahren getrennt ohne gegenseitige Information der Einspruchsführer. Erst mit der Einspruchsentscheidung verband es die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung, setzte den Gewinn der Gesellschaft herab und rechnete den Veräußerungsgewinn je zur Hälfte G und dem Kläger zu. Vor Erlass der Entscheidung wurde keiner der Einspruchsführer auf eine mögliche Verböserung hingewiesen. Das FG gab der Klage statt (EFG 2005, 1740).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Aufhebung der Einspruchsentscheidung durch das FG, weil das FA den Kläger nicht vor deren Erlass auf die Möglichkeit einer Verböserung hingewiesen hatte.
Hinweis
1. Die Änderung eines Verwaltungsakts zum Nachteil des Einspruchsführers (Verböserung) ist nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO (nur) möglich, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen worden und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern.
Im Streitfall hat das FA aus der Sicht des Klägers verbösert, obwohl es im geänderten Feststellungsbescheid den Gesamtgewinn für die Gesellschaft herabgesetzt hat. Entscheidend dafür war, dass der Gewinnanteil des Klägers erhöht worden ist. Einen vorherigen Hinweis auf die nachteilige Änderung hatte das FA nicht gegeben. Das wäre hier aber Voraussetzung für die Änderungsmöglichkeit gewesen, weil ein Ausnahmefall, für den ein Verböserungshinweis entbehrlich ist, nicht vorgelegen hat.
2. Entbehrlich ist ein Verböserungshinweis nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann, wenn das FA auch im Fall der Rücknahme des Einspruchs eine Änderung zum Nachteil des Einspruchsführers hätte herbeiführen können (BFH, Urteil vom 12.7.2005, II R 10/04, m.w.N.). Eine solche Möglichkeit hatte das FA im vorliegenden Fall aber nicht, weil es im Anschluss an die Betriebsprüfung den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben hatte.
Das FA hatte hier nach einer eventuellen Einspruchsrücknahme allenfalls die Möglichkeit, den Kläger zu den Einspruchsverfahren der Gesellschafter G und F gem. § 360 Abs. 3 AO hinzuzuziehen und auf diesem Weg eine Änderung des Feststellungsbescheids zum Nachteil des Klägers zu erreichen. Diese Möglichkeit erkennt der BFH wegen der Akzessorietät der Hinzuziehung aber nicht als eine dem § 164 Abs. 2 AO vergleichbare Änderungsmöglichkeit an. Sie hängt nämlich davon ab, dass G und F ihre Einsprüche aufrechterhalten. Dies wiederum könnte das FA nicht beeinflussen.
Der BFH entschied deshalb: Bestehen Zweifel, ob das FA nach Einspruchsrücknahme noch ändern könnte, darf es auf den Verböserungshinweis nicht verzichten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.3.2006, XI R 24/05