Leitsatz
Aufwendungen einer Organgesellschaft aufgrund einer Haftungsinanspruchnahme für Körperschaftsteuerschulden des Organträgers nach § 73 AO fallen nicht unter das Abzugsverbot des § 10 Nr. 2 KStG. Sie sind als vGA zu qualifizieren.
Normenkette
§ 8 Abs. 3 Satz 2, § 10 Nr. 2 KStG, § 73 AO
Sachverhalt
Zwischen der Klägerin als Organgesellschaft und der B‐AG als Organträgerin bestand seit 1990 eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft, die im Jahr 2000 beendet wurde. Fünf Jahre später wurden auch die Geschäftsanteile der Klägerin an andere Gesellschafter veräußert. Über das Vermögen der B‐AG wurde im Jahr 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Das FA "drohte" der Klägerin noch im selben Jahr die Haftungsinanspruchnahme gemäß § 73 AO wegen Körperschaftsteuerschulden der früheren Organträgerin an.
In ihrem Jahresabschluss 2009 bildete die Klägerin deswegen steuerwirksam eine Rückstellung. Dagegen rechnete das FA den zurückgestellten Betrag gemäß § 10 Nr. 2 KStG außerbilanziell dem Gewinn der Klägerin wieder hinzu und änderte den Körperschaftsteuerbescheid 2009 entsprechend ab.
Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG entschied, dass die außerbilanzielle Hinzurechnung zwar nicht auf § 10 Nr. 2 KStG gestützt werden könne, doch sei eine vGA anzunehmen (FG Münster, Urteil vom 4.8.2016, 9 K 3999/13 K,G, Haufe-Index 10231902, EFG 2017, 149).
Entscheidung
Der BFH hat die Rechtsauffassung des FG bestätigt und die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Hinweis
1. Zwei wichtige Aussagen hat der BFH in der Besprechungsentscheidung getroffen: Das Abzugsverbot des § 10 Nr. 2 KStG erfasst die eigene Körperschaftsteuerschuld, nicht aber fremde Körperschaftsteuerschulden, für die gehaftet wird. Allerdings kann die Haftungsinanspruchnahme gemäß § 73 AO eine vGA auslösen und damit zu identischen Rechtsfolgen wie das Abzugsverbot gemäß § 10 KStG führen.
2. Der im Gesetz (§ 73 AO) mit "Haftung bei Organschaft" überschriebene Tatbestand beruht auf dem Gedanken, dass die Organgesellschaft ihr eigenes Einkommen nicht selbst versteuern muss. Vielmehr führt die Einkommenszurechnung an den Organträger gemäß § 14 Abs. 1 KStG dazu, dass dieser die "Besteuerungszuständigkeit" übernimmt. Kommt der Organträger indes seinen "übernommenen" Steuerzahlungspflichten nicht nach (z.B. wegen Insolvenz), dann fällt die "Besteuerungszuständigkeit" gewissermaßen wieder an die Organgesellschaft zurück: Sie haftet für die Steuern des Organträgers und soweit diese Steuern auf das gemäß § 14 Abs. 1 KStG"weitergeleitete" Organgesellschaftseinkommen entfallen, ist dieser "Besteuerungsrückfall" auch sachgerecht. Denn die Organgesellschaft zahlt jetzt im Haftungswege quasi die eigene Körperschaftsteuer auf das eigene Einkommen.
3. Wenn die Organgesellschaft über § 73 AO gewissermaßen nur die eigene Körperschaftsteuer zahlt, dann liegt es durchaus nahe, das Verbot, die eigene Ertragsteuer von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abzuziehen (§ 10 Nr. 2 KStG), auf die Haftung gemäß § 73 AO zu erstrecken. Der BFH wollte diesen Weg indes nicht gehen. Er sah sich durch den Wortlaut des § 10 Nr. 2 KStG daran gehindert. Denn dort ist ausdrücklich von Steuern die Rede und im Steuerrecht wird üblicherweise peinlich genau zwischen (eigenen) Steuern und der Haftung für (fremde) Steuern unterschieden.
4. Scheitert demnach die dem Grunde nach mögliche Bildung einer Rückstellung wegen drohender Haftungsinanspruchnahme nicht an den Abzugsverboten des § 10 KStG, so muss der vermögensmindernde Effekt der Rückstellung dennoch rückgängig gemacht werden, wenn die Voraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) vorliegen. Im Streitfall liegen nach Auffassung des BFH sämtliche Voraussetzungen einer solchen vor.
Problematisch ist hierbei vor allem die "Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis". Denn aus Sicht der Organgesellschaft konnte durchaus die Meinung vertreten werden, dass die wesentliche Ursache für die Haftungsinanspruchnahme in der viele Jahre nach Beendigung der Organschaft eingetretenen Insolvenz des früheren Organträgers zu erblicken sei. Der BFH hat aber entsprechend der allgemeinen vGA-Dogmatik die Mitveranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis in dem Abschluss des Gewinnabführungsvertrags gesehen. Der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags ist aber stets durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst. Denn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft würde sich fremden Dritten gegenüber nicht zur Abführung des Gewinns und zur Übernahme eines Haftungsrisikos bereit erklären.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 24.10.2018 – I R 78/16