Leitsatz
1. Entscheidet das FG über einen anderen als im Steuerbescheid erfassten Sachverhalt, verstößt es gegen den Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren (§ 96 Abs. 1 S. 2 FGO), was auch ohne Rüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt.
2. Der subjektive Tatbestand einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) kann nicht mit dem bloßen Unterlassen einer Anzeige nach § 19 GrEStG verneint werden. Den Steuerpflichtigen treffen vielmehr Informations- und Erkundigungspflichten auch über seine Erklärungs- und Anzeigepflichten, die aus der Steuerpflicht folgen.
Normenkette
§ 378 Abs. 1 AO, § 96 Abs. 1 S. 2 FGO, § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 19 GrEStG
Sachverhalt
Bei Gründung der Klägerin, einer Kommanditgesellschaft, 1996 brachte einer der Gesellschafter eigene Grundstücke sowie alle Anteile an einer GmbH ein, der ebenfalls inländische Grundstücke gehörten. Die Klägerin übersandte die von einem ausländischen Notar beurkundeten Verträge lediglich der KSt-Stelle des FA und bildete außerdem – steuerrechtlich beraten – eine Rückstellung in Höhe der GrESt auf die Anteilsübertragung.
Die GrESt-Stelle erfuhr erst 2004 durch eine Außenprüfung von dem Grundbesitz der GmbH und setzte gegen die Klägerin wegen des Erwerbs aller Anteile an der GmbH die GrESt fest. Dabei nahm sie eine leichtfertige Steuerverkürzung an.
Das FG meinte, es ginge um den Erwerb der eigenen Grundstücke der GmbH, verneinte eine leichtfertige Steuerverkürzung und hob den Bescheid auf. Die Klägerin habe lediglich versäumt, den Vorgang auch der GrESt-Stelle anzuzeigen (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2007, 2 K 345/06, Haufe-Index 1963414).
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf, da das FG über einen Sachverhalt entschieden habe, der nicht Gegenstand des angefochtenen Steuerbescheids gewesen sei. Sodann verwies er die Sache an das FG zurück, weil eine leichtfertige Steuerverkürzung aufgrund unzureichender Feststellungen verneint worden sei.
Hinweis
1. Bringt jemand aufgrund eines Gesellschaftsvertrags in die Gesellschaft nicht nur sein eigenes Grundstück ein, sondern darüber hinaus alle (bzw. mindestens 95 % der) Anteile an einer anderen Gesellschaft mit Grundbesitz, werden zwei Grunderwerbsteuertatbestände erfüllt, nämlich einer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und ein weiterer nach Abs. 3 Nr. 3 der Vorschrift. Legt die erwerbende Gesellschaft gegen den Bescheid, der den Erwerb nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG betrifft, erfolglos Einspruch ein und befindet das FG im anschließenden Klageverfahren irrtümlich über den Erwerb nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, ist sein Urteil aufzuheben.
2. Wäre dieser Fehler bereits beim FA in der Einspruchsentscheidung unterlaufen, wäre sie ebenfalls rechtswidrig (vgl. BFH, Beschluss vom 15.05.2009, II B 16/09) und müsste vom FG isoliert aufgehoben werden. Auch in der Einspruchsentscheidung ist über denselben Sachverhalt zu entscheiden, der dem angegriffenen Steuerbescheid zugrunde liegt. Die Nämlichkeit des Sachverhalts wird dabei nicht über eine gemeinsame Urkunde vermittelt. Vielmehr können in einer Urkunde mehrere zu besteuernde Sachverhalte enthalten sein.
3. Bildet der Grundstückserwerber in seiner Bilanz eine Rückstellung wegen der zu erwartenden GrESt, wird aber der zuständigen GrESt-Stelle der Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt, indem die maßgeblichen Verträge – hier der im Ausland beurkundete Gesellschaftsvertrag mit den Einlageverpflichtungen – lediglich der KSt-Stelle übersandt werden, deutet dies auf eine Sorgfaltspflichtverletzung i.S.d. § 378 Abs. 1 AO hin. Dabei sind an einen Kaufmann höhere Anforderungen zu stellen als an andere Steuerpflichtige. Bei Zweifeln über das Bestehen steuerrechtlicher Pflichten muss sachkundiger Rat eingeholt werden, der sich auch auf etwaige Verfahrenspflichten erstrecken muss.
4. Geht es um Steuerpflichten einer Personen- oder Kapitalgesellschaft, ist darauf abzustellen, ob diejenigen Personen die erforderliche Sorgfalt haben walten lassen, die gem. § 34 AO die steuerlichen Pflichten einer Gesellschaft zu erfüllen haben.
5. Dass die Anzeige der maßgeblichen Verträge bei der KSt-Stelle des FA nicht ausreicht, um die Anzeigepflichten gem. den §§ 18 und 19 GrEStG zu erfüllen, hat der BFH erst jüngst wieder betont (Urteil vom 11.06.2008, II R 55/06, BFH/NV 2008, 1876). Gleichwohl erliegen die Finanzgerichte immer wieder der Versuchung, darin nur eine "lässliche Sünde" zu sehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.02.2009 – II R 49/07