Leitsatz
1. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass Ausländer, deren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland lediglich geduldet ist, auch nach der Neuregelung der Kindergeldberechtigung (§ 62 Abs. 2 EStG i.d.F. des AuslAnsprG vom 13.12.2006, BGBl I 2006, 1915) keinen Anspruch auf Kindergeld haben (Festhalten am Senatsurteil vom 15.03.2007, III R 93/03, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH-PR 2007, 266).
2. Ebenso wenig begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Anspruchsberechtigung von Ausländern mit bestimmten Aufenthaltstiteln (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG n.F.) an die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt geknüpft ist.
Normenkette
§ 62 Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger reiste 1994 aus Bosnien und Herzegowina ein. Er war zunächst nur geduldet und erhielt später (als Härtefall) eine Aufenthaltsbefugnis, die einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entspricht. Er war jedoch nicht erwerbstätig und bezog auch keine entsprechenden Leistungen und befand sich nicht in Elternzeit.
Die Familienkasse und das FG (EFG 2003, 49) lehnten einen Kindergeldanspruch für die drei Kinder des Klägers ab.
Entscheidung
Der BFH sieht die Neuregelung als verfassungsgemäß an und versagte ebenfalls den Kindergeldanspruch. Da der Kläger nicht Arbeitnehmer war, ließ sich der Anspruch auch nicht auf das Sozialabkommen mit Jugoslawien stützen.
Hinweis
Nach der Rechtslage ab 1996 hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld davon ab, dass er im Besitz eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem Ausländergesetz 1990 (AuslG 1990) war. Erforderlich war eine Aufenthaltsberechtigung oder eine Aufenthaltserlaubnis. Eine Aufenthaltsbewilligung, Aufenthaltsbefugnis oder eine bloße Duldung reichten nicht aus (§ 62 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996).
Diese Regelung war nach der Auffassung des BVerfG für die nahezu wortgleiche Vorschrift des § 1 Abs. 3 BKKG insoweit gleichheitswidrig, als die Kindergeldgewährung allein von der Art des Aufenthaltstitels abhing (BVerfG, Beschluss vom 06.07.2004, 1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160). Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten war, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden, hat das BVerfG jedoch nicht beanstandet, sondern lediglich die gesetzlichen Unterscheidungskriterien, nämlich die Anknüpfung an die Aufenthaltstitel, als ungeeignet erachtet, dieses Ziel zu erreichen.
Den Vorgaben des BVerfG ist der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG durch das Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 mit Wirkung vom 01.01.2006 nachgekommen. Die Neuregelung gilt für alle Fälle, in denen -- wie im Streitfall -- das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt wurde. Sie knüpft an die Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) an, das das AuslG 1990 ab 01.01.2005 abgelöst hat.
Auch nach der Neuregelung haben Ausländer, deren Aufenthalt lediglich geduldet ist, keinen Anspruch auf Kindergeld. Der BFH hat bereits in der im Leitsatz zitierten Entscheidung die gesetzliche Differenzierung für sachlich gerechtfertigt und mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen, da keine langfristige Integration geduldeter Ausländer und ihrer Familien in Deutschland beabsichtigt ist. Daran hält der BFH fest.
In bestimmten Härtefällen, in denen der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG), hängt der Kindergeldanspruch davon ab, dass der Ausländer sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet in Deutschland aufhält und darüber hinaus berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem SGB III (Arbeitsförderung) bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG). Damit stellt das Gesetz auf die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ab. Bei Ausländern, denen keine Erwerbstätigkeit erlaubt ist, wird das Existenzminimum durch Fürsorgeleistungen ausreichend gesichert.
Entgegen dem BFH hält der 10. Senat des FG Köln die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG für verfassungswidrig und hat die Frage dem BVerfG vorgelegt (Vorlagebeschluss vom 09.05.2007, 10 K 1690/07, EFG 2007, 1247, Az. BVerfG: 2 BvL 4/07; Parallelentscheidung vom 09.05.2007, 10 K 1689/07, StE 2007, 465, Az. BVerfG: 2 BvL 3/07). Der 15. Senat des FG Köln hat sich dagegen dem BFH angeschlossen und geht von der Verfassungsmäßigkeit aus (Urteile vom 14.06.2007, 15 K 4522/05, EFG 2007, 1789, und 15 K 1928, EFG 2008, 66).
Der BFH weist die verfassungsrechtlichen Bedenken des 10. Senats des FG Köln zurück:
- Der Gesetzgeber konnte typisierend davon ausgehen, dass ein Daueraufenthalt erst nach drei Jahren und bei Integration in den Arbeitsmarkt unterstellt werden kann.
- Das Kriterium der Erwerbstätigkeit ist auslegungsfähig und steht daher dem Gebot der Normenklarheit nicht entgegen.
- Auch die Rückwirkung auf noch nicht bestandskräftige Fälle hält der BFH für unbedenklich.
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