Leitsatz
Die Regelung des § 16 Abs. 2 ErbStG, die bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht einen geringeren Freibetrag als bei unbeschränkter Steuerpflicht vorsieht, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Normenkette
§ 16 Abs. 2 ErbStG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 56 EGVtr
Sachverhalt
Die Klägerin ist Erbin nach ihrem im Jahr 2000 verstorbenen Ehemann. Die Eheleute lebten als deutsche Staatsangehörige in Österreich und hatten innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Erbfall weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Der Ehemann war Miteigentümer eines Grundstücks im Inland. Das FA setzte die ErbSt nach dem anteiligen Grundbesitzwert unter Abzug eines Freibetrags von 2.000 DM nach § 16 Abs. 2 ErbStG fest. Die Klägerin war demgegenüber der Ansicht, aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen sei derselbe Freibetrag festzusetzen wie bei unbeschränkt Steuerpflichtigen.
Entscheidung
Der BFH teilte die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht. Zur Beurteilung ihrer europarechtlichen Bedenken bedurfte es weiterer Feststellungen; daher wurde die Sache an das FG zurückgewiesen.
a) Zur Verfassungsrechtslage
Hinsichtlich der Gewährung der persönlichen Freibeträge bestehen zwischen beschränkt und unbeschränkt Erbschaftsteuerpflichtigen im Allgemeinen so erhebliche Unterschiede, dass diese Personengruppen von Verfassungs wegen nicht gleich behandelt werden müssen. Während die einen nur den Erwerb des Inlandsvermögens zu versteuern haben, müssen die anderen den gesamten Vermögensanfall versteuern. Auch aus dem Zweck des § 16 ErbStG – nämlich der Berücksichtigung des persönlichen Verhältnisses des Erwerbers zum Erblasser – lässt sich kein Gebot der Gleichbehandlung herleiten. Da der Schwerpunkt des Vermögens einer Person typischerweise in deren Wohnsitzstaat liegt, ist dieser am ehesten in der Lage, die persönlichen Verhältnisse durch Gewährung entsprechend differenzierender Freibeträge zu berücksichtigen. Darüber hinaus gilt es, eine doppelte Inanspruchnahme persönlicher Freibeträge zu vermeiden.
b) Zur Europarechtslage
Dient eine nationale steuergesetzliche Regelung der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse, erkennt der EuGH an, dass sich Gebietsansässige und Gebietsfremde grundsätzlich nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Damit scheidet regelmäßig die Annahme einer in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallenden Diskriminierung aus, ohne dass es noch einer Prüfung etwaiger Rechtfertigungsgründe bedarf. Dies gilt jedoch nicht, wenn nahezu die gesamten Einkünfte bzw. Vermögenswerte dem Staat der beschränkten Steuerpflicht zugeordnet sind und der Wohnsitzstaat daher die persönlichen Verhältnisse nicht angemessen berücksichtigen kann (EuGH, Urteile in Slg. 1995, I-225 Rdnrn. 36–38 – Schumacker; Slg. 1995, I-2493 Rdnrn. 18–22 – Wielockx und Slg. 2002, I-11819 RdNr. 89 – de Groot). Es spricht vieles dafür, dass diese Grundsätze auf solche erbschaftsteuerrechtliche Regelungen übertragbar sind, die wie § 16 ErbStG nicht der Ermittlung des zu besteuernden Erwerbs, sondern der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse dienen.
Gleichwohl sah sich der BFH gehindert, ggf. nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH eine abschließende Entscheidung zu treffen, weil das FG nicht festgestellt hatte, wie sich der Gesamtwert des Nachlasses unter Berücksichtigung etwaiger Nachlassverbindlichkeiten auf den Wohnsitzstaat, das Inland und etwaige Drittstaaten verteilt. Bei einer Mehrheit von Erben wäre zusätzlich der Anteil des zu besteuernden Erben am Nachlass zu ermitteln.
Hinweis
Das vorliegende Urteil zerfällt in zwei Abschnitte. Der erste Abschnitt beleuchtet § 16 Abs. 2 ErbStG unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebots und hat seinen Niederschlag im Leitsatz gefunden. Der zweite Abschnitt beleuchtet die Norm unter europarechtlichen Gesichtspunkten, bringt aber wegen unzureichender Feststellungen noch keine abschließende Entscheidung und konnte daher noch nicht in einen Leitsatz münden.
Immerhin ist dem Urteil aber zu entnehmen, dass der BFH hinsichtlich der Frage, ob ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGVtr vorliegt, an die vom EuGH zum Ertragsteuerrecht vorgenommene Unterscheidung zwischen Regelungen zum Steuerobjekt und Regelungen zur Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse anknüpft. Während danach bei der Ermittlung der objektiven Besteuerungsgrundlagen Differenzierungen nach dem Wohnsitz oder dem Kapitalanlageort grundsätzlich nicht zulässig sind, kann bei der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse, wozu die Freibeträge nach § 16 ErbStG gehören, zwischen Gebietsansässigen und Gebietsfremden differenziert werden, weil sie sich nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Dies ist nur dann anders, wenn nahezu die gesamten Einkünfte – bzw. hier das gesamte Vermögen – dem Staat der beschränkten Steuerpflicht zuzuordnen ist. Dazu, wenn Letzteres der Fall ist, enthält das Besprechungsurteil eine Reihe von Hinweisen und eine Fülle offener Fragen.