Leitsatz
1. Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung bestehen auch für Zeiträume nach dem 31.12.2018 keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
2. Meinungsverschiedenheiten über die Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan zwischen den Spruchkörpern desselben Gerichts sind durch das Präsidium zu entscheiden (Anschluss an Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05.10.1999 – X ARZ 247/99, Neue Juristische Wochenschrift 2000, 90).
Normenkette
§ 240 AO, § 21e GVG
Sachverhalt
Der Antragsteller hatte den Erlass eines Abrechnungsbescheids (§ 218 Abs. 2 AO) über Säumniszuschläge zur ESt 2020 beantragt. Vorausgegangen war dem eine Steuerfestsetzung, die zu Nachzahlungen geführt hatte. Gegen den Abrechnungsbescheid legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte AdV. Das FA stellte daraufhin das Einspruchsverfahren ruhend, lehnte allerdings den Antrag auf AdV ab. Ein beim FG gestellter Antrag auf AdV blieb ebenfalls ohne Erfolg (FG München, Urteil vom 28.3.2023, 1 V 72/23).
Entscheidung
Der BFH hat die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Mit der Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen musste sich der BFH in den beiden letzten Jahren wiederholt befassen. Der Grund hierfür ist die Entscheidung des BVerfG, nach der die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen (§ 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird (mit Fortgeltungsanordnung für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 – BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282, BFH/NV 2021, 1455).
2. Da in der BFH-Rechtsprechung in der Vergangenheit immer wieder darauf verwiesen worden ist, dass Säumniszuschlägen auch die Funktion einer Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zukommt, legt das die Frage nahe, ob nicht auch die in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge von 1 % für jeden angefangenen Monat verfassungswidrig ist.
Vor diesem Hintergrund hatten mehrere Senate des BFH in AdV-Verfahren nach summarischer Prüfung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge bejaht (zuletzt BFH, Beschluss vom 23.5.2022, V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030, BFH, Beschluss vom 11.11.2022, VIII B 64/22 (AdV), BFH/NV 2023, 165, und BFH, Beschluss vom 28.12.2022, III B 48/22 (AdV), BFH/NV 2023, 970).
3. Allerdings hat der VII. Senat des BFH zwischenzeitlich in zwei Hauptsachverfahren entschieden, dass auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau gegen die in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegte Höhe des Säumniszuschlags keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Weder lassen sich dem VII. Senat zufolge die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Grundsätze zur Vollverzinsung auf den Säumniszuschlag übertragen noch verstößt die Höhe des Säumniszuschlags gegen das Übermaßverbot und das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG (BFH, Urteil vom 23.8.2022, VII R 21/21, BStBl II 2023, 304, BFH/NV 2023, 400, Rz. 38 ff.; BFH, Urteil vom 15.11.2022, VII R 55/20, BStBl II 2023, 621, BFH/NV 2023, 583, Rz. 19 ff.). Jedoch wurden diese Entscheidungen erst am 9.2.2023 veröffentlicht, also nach Ergehen der unter 2. zitierten Beschlüsse.
4. Der X. Senat hat sich nun der Auffassung des VII. Senats angeschlossen und in einem weiteren AdV-Verfahren ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge verneint. Zwar beträfen die genannten Entscheidungen des VII. Senats Zeiträume vor dem 1.1.2019. Die tragenden Gründe der vom VII. Senat vorgenommenen – eigenständigen – verfassungsrechtlichen Prüfung würden aber gleichermaßen für Zeiträume nach dem 31.12.2018 gelten.
Es sind hierzu allerdings noch weitere Verfahren anhängig, sodass abzuwarten bleibt, ob auch die übrigen Senate der Rechtsprechungslinie des VII. Senats folgen werden.
5. Vorausgegangen war dieser Entscheidung eine Meinungsverschiedenheit darüber, welcher BFH-Senat für das Verfahren zuständig ist. Der Geschäftsverteilungsplan war in dieser Hinsicht auslegungsbedürftig. Das Präsidium des BFH hat hier die Zuständigkeit des X. Senats bejaht.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 13.9.2023 – X B 52/23 (AdV)