Rz. 1
Bedeutung internationaler Verrechnungspreise. Nach Auffassung der OECD hat die Bedeutung multinationaler Unternehmen im Welthandel in den letzten mehr als 25 Jahren erheblich zugenommen. Schätzungen zu Folge werden heute ca. 70 % des Welthandels zwischen international verbundenen Unternehmen abgewickelt. Tendenziell wird dieser Anteil aufgrund der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft sowie fortschreitender internationaler Unternehmenszusammenschlüsse, nicht zuletzt als Folge marktlicher Konsolidierung und Konzentration, weiter steigen. Diese Entwicklung spiegelt sich in der internationalen Besteuerungs- und Betriebsprüfungspraxis wider. Die Festlegung und Prüfung angemessener Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen ist hier mittlerweile zum wichtigsten Thema avanciert. Insbesondere die sachgerechte Dokumentation der Verrechnungspreise (Rz. 66 ff.) ist wesentlicher Bestandteil des steuerlichen Risikomanagements international verbundener Unternehmen. Die steuerlichen Risiken schließen steuerstrafrechtliche Risiken mit ein. Mittlerweile verfügt eine Vielzahl von Staaten über detaillierte Verrechnungspreisvorschriften, die eine umfassende Dokumentation konzerninterner Transaktionen vorschreiben, um den nationalen Steuerbehörden eine effiziente Prüfung zu ermöglichen. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf das parallel zu den OECD-Leitlinien bestehende und in aktualisierter Fassung 2021 erschienene sog. "Practical Manual on Transfer Pricing for Developing Countries" (nachfolgend "UN-Manual") verwiesen, das durch eine Vielzahl von Vertretern von OECD- und Nicht-OECD-Ländern erstellt und abgestimmt wurde und vornehmlich den Gesetzgebern und Finanzverwaltungen von Schwellenländern eine Anleitung und Hilfestellung zur Umsetzung der normativen und administrativen Aspekte des Fremdvergleichsgrundsatzes geben soll. Ferner wurde auf die in der Vergangenheit zu verzeichnende Entwicklung, dass Unternehmensgruppen bisweilen durch unangemessene Verrechnungspreise das zwischenstaatliche Steuergefälle ausgenutzt und Gewinne in Niedrigsteuerländer verlagert haben, durch das sog. "Base Erosion an Profit Shifting" (BEPS)-Projekt der OECD im Auftrag der G20 reagiert. Insgesamt 4 der 15 BEPS-Aktionspunkte befassen sich unmittelbar mit der Bestimmung, Prüfung und Dokumentation internationaler Verrechnungspreise: Aktionspunkt 8 beschäftigt sich mit Verrechnungspreisen in Bezug auf immaterielle Vermögenswerte, Aktionspunkt 9 mit der vertraglichen Zuordnung von Risiken, Aktionspunkt 10 mit anderen risikobehafteten Bereichen der Verrechnungspreise und Aktionspunkt 13 mit der Verrechnungspreisdokumentation und dem Country-by-Country Report.
Nach den Abschlussberichten zu den Maßnahmen 8–10 und 13 vom 5.10.2016 ergaben sich umfangreiche Änderungen insbesondere des Kap. VI, eine vollständige Überarbeitung des Kap. V zur Verrechnungspreisdokumentation und Country-by-Country Reporting sowie Änderungen der Kap. I, VII und VIII, insbesondere im Hinblick auf das Risikokontrollkonzept (hierzu Rz. 13). Diese wurden am 10.7.2017 zusammen mit Folgeänderungen im Kap. IX als aktualisierte OECD-Leitlinien 2017 veröffentlicht.
Mit dem AbzStEntModG wurden die wesentlichen materiellen Verrechnungspreisergebnisse des G20/OECD-BEPS-Projekts zur Anpassung der Verrechnungspreisergebnisse an die Wertschöpfung in multinationalen Unternehmensgruppen in nationales Recht umgesetzt (insbesondere DEMPE-Konzept in § 1 Abs. 3c AStG und das Risikokontrollkonzept).
Verrechnungspreiskorrekturen erweisen sich zudem als eine effiziente und willkommene Quelle zusätzlicher Steuereinnahmen. Hinzu treten zumeist Zinsen und Strafzuschläge.
Rz. 2
Betriebswirtschaftliche Funktionen von Verrechnungspreisen. Verrechnungspreise werden zur Erfüllung voneinander unterschiedlicher Funktionen hinsichtlich von Teilbereichen eines Organisationsverbunds herangezogen und können deshalb entsprechend der jeweiligen Funktion unterschiedlich ausfallen. Die folgenden Funktionen werden Verrechnungspreisen zugeordnet:
- die Vereinfachung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung (Vereinfachungsfunktion),
- die Wirtschaftlichkeitskontrolle von Kostenstellen (Kontrollfunktion),
- die organisatorische Lenkung zur Koordination dezentraler Entscheidungen in Teilbereichen des Unternehmens (organisatorische Lenkungsfunktion),
- die getrennte Erfolgsermittlung für die autonomen Teilbereiche eines Unternehmens (Erfolgsermittlungsfunktion).
Die 4 genannten Funktionen lassen sich nicht trennscharf voneinander abgrenzen, sondern überschneiden sich teilweise. Insbesondere besteht ein Zusammenhang zwischen der organisatorischen Lenkungs- oder Koordinationsfunktion und der Erfolgsermittlungsfunktion, da z. B. Entscheidungen in Untereinheiten nicht zuletzt von den antizipierten Auswirkungen auf die Vergütung der entsprechenden Entscheidungsträger abhängen, die häufig an realisierte Erfolgsgrößen anknüpft. Die...