Leitsatz
1. Die Höhe der Einkommensteuer ist aus vermögensteuerrechtlicher Sicht Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 AO.
2. Das Verschulden des Steuerpflichtigen kann auch dann nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich sein, wenn nachträglich bekannt werdende Tatsachen oder Beweismittel, die zu einer höheren Steuer führen, für sich genommen die Voraussetzungen einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllen, aber in einem Bescheid berücksichtigt werden, der auf einer anderen Änderungsvorschrift beruht.
Normenkette
§ 173 Abs. 1 AO , § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin reichte ihre ESt-Erklärung 1992 zusammen mit der VSt-Erklärung auf den 1.1.1993 beim FA ein. In Letzterer bat sie, die Steuerschulden von Amts wegen zu berücksichtigen. In der ESt-Erklärung hatte sie neben anderen Einkünften angegeben, an einer KG beteiligt zu sein, ohne Einkünfte daraus zu nennen. Daher wurden bei der bestandskräftigen VSt-Festsetzung derartige Einkünfte nicht berücksichtigt.
Nach Ergehen des Gewinnfeststellungsbescheids für die KG wurde die ESt gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsprechend erhöht. Dagegen lehnte es das FA ab, die nachzuzahlende ESt gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei der VSt als Steuerschuld zu berücksichtigen.
Das FG gab der Klage dagegen statt; die Revision des FA hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH folgte dem FG darin, dass der VSt-Bescheid antragsgemäß zu ändern sei. Sollte die Klägerin an dem nachträglichen Bekanntwerden der höheren ESt-Schuld ein grobes Verschulden treffen, wäre dies nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich, weil die Tatsache der höheren ESt-Schuld im Zusammenhang mit der nachträglich bekannt gewordenen Gewinnbeteiligung der Klägerin steht. Dass diese Gewinnbeteiligung sich bei der ESt – und damit bei einer anderen Steuer als der VSt – zuungunsten der Klägerin ausgewirkt hat, sei ebenso wenig von Bedeutung wie der Umstand, dass die Änderung bei der ESt nicht gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfolgen konnte, sondern wegen der ausnahmsweisen gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vorgenommen werden musste.
Hinweis
Die Bedeutung der Entscheidung ergibt sich aus dem 2. Leitsatz. Als "andere Änderungsvorschrift" kommt insbesondere § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in Betracht. Dabei soll es für den Steuerpflichtigen unerheblich sein, dass bestimmte Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden, sofern ohne die Anordnung einer gesonderten Feststellung statt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO eingreifen würde.
Die Entscheidung hat nach Wegfall der VSt durchaus noch Bedeutung, und zwar für die ErbSt, wenn sich aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel höhere Steuerschulden des Erblassers herausstellen. In derartigen Fällen sind die höheren Steuerschulden des Erblassers aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht eine Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.1.2005, II R 48/02