Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Für den Vorsteuerabzug kommen Billigkeitsmaßnahmen nicht "automatisch" dann in Betracht, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige von der Steuerhinterziehung nichts wusste und auch nichts wissen konnte.
Sachverhalt
Der Kläger erzielte in den Streitjahren steuerpflichtige Umsätze aus dem Vertrieb von Hard- und Software. Im Jahr 2008 machte er erhebliche Vorsteuerbeträge u. a. aus Eingangsrechnungen über Computerzubehör und Spielkonsolen geltend, die von den Firmen T und F ausgestellt waren. Dabei hatte er ausschließlich Kontakt mit Herrn K, den er schon seit vielen Jahren kannte und der sich im Rahmen der streitgegenständlichen Geschäfte ihm gegenüber als Handelsvertreter der Firma A-AG ausgegeben hatte. Nach Ermittlungen der Steuerfahndung kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass die beiden Firmen T und F als sog. Missing Trader (= Nicht-Unternehmer) und der Kläger als sog. Buffer (Zwischenhändler) in eine - möglicherweise durch Verantwortliche der A-AG installierte - Umsatzsteuerbetrugskette in Zusammenhang mit der Lieferung von Elektronikartikeln eingebunden sei. Der entsprechende Vorsteuerabzug wurde versagt und ein Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen abgelehnt.
Entscheidung
Die Klage hatte im Wesentlichen keinen Erfolg. Nach Ansicht des Finanzgerichts erfolgte die Kürzung des Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen der Firmen T und F im Jahr 2008 zu Recht, da die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen nicht vorlagen. Entscheidend ist insoweit, dass die den Rechnungen zugrundeliegenden Lieferungen nicht von den Rechnungsausstellern, den Firmen T und F, an den Kläger ausgeführt wurden. Es ist zwar unstreitig, dass Lieferungen an ihn ausgeführt worden sind, jedoch nicht durch die angegebenen Rechnungsaussteller, vielmehr sind sämtliche Angebote und Warenübergaben durch die Firma A-AG erfolgt. Die geltend gemachten Vorsteuerbeträge sind im Festsetzungsverfahren auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes abziehbar.
Auch im Billigkeitsverfahren kommt eine abweichende Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung des Vorsteuerabzugs nicht in Betracht. Das Finanzamt hat bei der Entscheidung über die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt, dass
- der Kläger aufgrund seiner beruflichen Erfahrung und Branchenkenntnis die Gefahr kannte, in ein Umsatzsteuerbetrugsmodell einbezogen zu werden,
- dass ihm, laut eigener Aussage, die angebotenen Preise günstig vorgekommen sind,
- dass es sich um ein Geschäftsvolumen in erheblichem Umfang handelte und
- dass aus dem ihm vorliegenden Handelsregisterauszug ersichtlich war, dass die Firmen T und F unter neuer Leitung standen und deren Sitz verlegt worden war.
Das Finanzamt hat auch berücksichtigt, dass er seinen Ansprechpartner - Herrn K - langjährig kannte und, dass sich dieser ihm gegenüber ausdrücklich als Handelsvertreter der Firma A und nicht als Vertreter der vermeintlichen Lieferanten bezeichnet hat.
Hinweis
Das Gericht ging auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 22.10.2015 (Rechtssache C-277/14) nicht davon aus, dass es zur Gewährung von Vertrauensschutz im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme (also bei Nichtvorliegen der materiellen und formellen Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug) ausreicht, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige von der Steuerhinterziehung nichts wusste und auch nichts wissen konnte. Nach Ansicht des Gerichts würden bei derart verminderten Anforderungen für den Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren die materiellen und formellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs jede Bedeutung verlieren.
In nicht allzu ferner Zukunft wird diese Thematik hoffentlich ganz grundsätzlich entschieden werden, da der BFH in seinem Beschluss vom 6.4.2016 (V R 25/15) dem EuGH einen weiteren Fall zur Entscheidung vorgelegt hat. Konkret will der BFH u. a. wissen, ob der Vorsteuerabzug für den Fall, dass die formellen Rechnungsanforderungen nicht erfüllt sind, bereits immer dann zu gewähren ist, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige die Einbeziehung in einen Betrug weder kannte noch kennen konnte, oder, ob der Vertrauensschutzgrundsatz auch in solchen Fällen voraussetzt, dass der Steuerpflichtige alles getan hat, was von ihm zumutbarer Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überprüfen? Nicht zuletzt wegen dieser EuGH-Vorlage hat das Finanzgericht die Revision ausdrücklich zugelassen (Az beim BFH V R 47/16).
Zwischenzeitlich ist das FG Köln betroffenen Unternehmern "zur Seite gesprungen" (Urteil v. 20.9.2016, 8 K 1527/14). Danach genügt es für die Aberkennung des Vorsteuerabzugs nicht, wenn die Finanzämter einen Umsatzsteuerbetrug lediglich behaupten und pauschal auf Steuerfahndungsberichte verweisen. Die Behörden müssen vielmehr subtantiiert darlegen, bei welchem Unternehmen (in einer möglichen Lieferkette) der Umsatzsteuerbetrug erfolgt sein soll.
Link zur Ent...