Dipl.-Finanzwirt (FH) Jürgen Feißt
Leitsatz
Eine Außenprüfung, die Verhältnisse Dritter zu erforschen, ist nicht zulässig. Die Geschäftsunterlagen eines Steuerpflichtigen dürfen weder gezielt unter Anlegung eines vorgegebenen Rasters noch "ins Blaue hinein" nach steuererheblichen Verhältnissen Dritter durchforstet werden. Das rechtswidrig erlangte Kontrollmaterial darf nicht verwertet werden und unterliegt einem Verwertungsverbot. Eine Hinzuschätzung aufgrund des Kontrollmaterials ist unzulässig.
Sachverhalt
Bei einer Tanzkapelle wurde von Seiten des Finanzamts die Vollständigkeit der angegebenen Einnahmen bezweifelt. Darauf hin wurden Außenprüfungen bei Saalbetrieben durchgeführt, um Informationen über den Umfang der Auftritte zu erhalten. Nach Feststellungen der Außenprüfung wurden die Tanzkapellen jeweils von den Mietern beauftragt. Daraufhin erfassten die Außenprüfer die Mieter mit Name und Anschrift. Das Finanzamt richtete Auskunftsbegehren an die Mieter der Säle. Es wurde danach gefragt, welche Musikkapelle aufgetreten sei und welcher Preis für die Kapelle gezahlt worden sei. Die Auswertung der Auskünfte ergab, dass die Klägerin Auftritte teilweise überhaupt nicht erfasst hatte bzw. teilweise niedrigere Einnahmen erfasst hatte, als ihr nach den Angaben der Mieter zugeflossen waren. Aufgrund der festgestellten Differenzen erfolgte eine Außenprüfung bei der Tanzkapelle, im Rahmen deren die zuvor ermittelten Erkenntnisse ausgewertet wurden. Es erfolgte die Einleitung eines Strafverfahrens und die Vornahme von Zuschätzungen.
Entscheidung
Im Rahmen einer Außenprüfung ist die Auswertung von Feststellungen bezüglich anderer Personen als den geprüften Steuerpflichtigen zulässig, soweit die Verhältnisse Dritter "anlässlich" der Außenprüfung festgestellt werden und die Kenntnis für die Besteuerung der anderen Person von Bedeutung ist. Dagegen darf nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzips eine Außenprüfung nicht zu dem Zweck durchgeführt werden, die Verhältnisse dritter Personen zu erforschen. Weder dürfen die Geschäftsunterlagen des Steuerpflichtigen gezielt unter Anlegung eines vorgegebenen Rasters noch andererseits "ins Blaue hinein", d.h. als beliebige Stichprobe, nach steuererheblichen Verhältnissen Dritter durchforstet werden. Der Prüfer handelt in diesem Fall außerhalb der ihm durch den Prüfungsauftrag verliehenen Befugnisse. Eine solche unmittelbar und ausschließlich auf die steuerlichen Verhältnisse Dritter gerichtete Prüfungshandlung in Form der Erfassung der Namen und Anschriften der Mieter im Rahmen der Außenprüfungen bei den Saalbetrieben ist daher rechtswidrig. Es spielt in diesem Zusammenhang auch keine Rolle, dass die Saalbetriebe - ausweislich der Meldungen zur Außenprüfung - aus anderen Gründen geprüft worden sind. Nach den Gesamtumständen des Falls verfolgten die Prüfer mit ihren Prüfungshandlungen von vornherein (auch) das Ziel, die steuerlichen Verhältnisse der Tanzkapellen zu erforschen. Das Vorgehen der verschiedenen Amtsbetriebsprüfer lässt auf ein abgestimmtes Verhalten schließen.
Diese rechtwidrig erlangten Erkenntnisse unterliegen in der Folge auch einem Verwertungsverbot. Die Verwertung der rechtswidrig ermittelten Erkenntnisse ist auch nicht schon deshalb zulässig, weil die Klägerin die den Ermittlungsmaßnahmen zugrunde liegenden Verwaltungsakte (Prüfungsanordnung gegenüber den Saalwirten, ggf. Mitwirkungsverlangen gegenüber den Saalwirten) nicht angefochten hat: Sie konnte Sie auch nicht anfechten, da die Prüfungsanordnungen nicht an Sie gerichtet war und daher keine Kenntnis von deren Existenz hatte. Das Verwertungsverbot kann unmittelbar im Verfahren gegen die geänderten Steuerbescheide geltend gemacht werden. Die Frage eines Verwertungsverbots stellt sich nicht nur, wenn eine Prüfungsanordnung rechtswidrig ist. Auch einzelne rechtswidrige Aufklärungsmaßnahmen der Außenprüfung können ein Verwertungsverbot auslösen.
Welche rechtlichen Folgen sich für die Steuerfestsetzung aus einer verfahrensrechtlich nicht ordnungsgemäßen Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen im Rahmen einer Außenprüfung ergeben, ist in der AO nicht geregelt. Die Rechtsprechung nimmt im Ergebnis eine Abwägung zwischen dem Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung und dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren vor. Dabei wird berücksichtigt, ob der Verfahrensverstoß eher dem Bereich der Ordnungs- oder Formvorschriften zuzuordnen ist oder ob geschützte Individualinteressen beeinträchtigt worden sind. Im vorliegenden Fall ist bei der Abwägung einerseits zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht sämtliche Einnahmen erklärt hat. Andererseits handelt es sich bei dem Verstoß des Beklagten gegen § 194 Abs. 3 AO nicht um einen - unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 127 AO - unbeachtlichen Verfahrensfehler. In der Abwägung hat das Finanzgericht den Verstoß gegen § 194 Abs. 3 AO für so beachtlich gehalten, dass es ein Verwertungsverbot bejaht hat. Auch die Tatsache, d...