Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
1. Den Tatbestand einer "Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft" i.S.v. § 17 EStG erfüllt auch, wer den durch eine Kapitalerhöhung entstehenden neuen Geschäftsanteil anderen gegen Entgelt zur Übernahme überlässt. 2. Tritt die Bedingung für die Zahlung des Entgelts für das Übernahmerecht erst in einem dem Jahr der Veräußerung folgenden Jahr ein, ist der das Jahr der Veräußerung betreffende Einkommensteuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 175 Abs. 1Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rückwirkend zu ändern.
Normenkette
§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO , § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO , § 17 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war im bestandskräftig veranlagten Streitjahr 1998 wesentlich an einer GmbH beteiligt. 1999 stellte sich heraus, dass die Gesellschafter der GmbH sich nicht an der vor ihnen beschlossenen Kapitalerhöhung beteiligt haben, die Stammeinlage einschließlich eines in die Kapitalrücklage eingestellten Agios vielmehr von der eintretenden Neugesellschafterin S-GmbH ge-leis-tet wurde. Die GmbH sollte 1999 in eine AG umgewandelt werden.
Im Zusammenhang mit dem Eintritt der S-GmbH wurden verschiedene Vereinbarungen getroffen, von denen letztlich eine durchgeführt wurde. Diese lautete: "Sollte der Börsengang basierend auf dem Emissionskurs der S-GmbH eine Investitionsrendite bezogen auf die Anschaffungskosten der Beteiligung (Stammeinlage plus Kapitalrücklage) von mehr als 25 % erbringen (sog. Übergewinn), soll der übersteigende Betrag je zur -Hälfte auf die S-GmbH und die Altgesellschafter aufgeteilt werden."
Im Zug der Börseneinführung der AG erwirtschaftete die S-GmbH einen Übergewinn i.S. dieser Vereinbarung, den sie anteilig an die Altgesellschafter auszahlte. Das FA vertrat die Ansicht, dass es sich dabei um einen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG handle und der Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entsprechend zu ändern sei. Das FG wies die Klage ab (EFG 2005, 200).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil im Ergebnis. Die aufschiebend bedingten Zahlungen seien Entgelt für den Verzicht der Altgesellschafter auf die Beteiligung an der Kapitalerhöhung, weil sie im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Verzicht stünden. Das Entgelt sei im Jahr der Leistung des Verzichts zu erfassen. Rechtsgrundlage für die Änderung des Einkommensteuerbescheids seien § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Die Frage, ob ein Teil der Anschaffungskosten für die Altanteile den abgespalteten, nicht ausgeübten Bezugsrechten zuzuordnen sei, ließ der BFH wegen der Besonderheit des Streitfalls (Saldierung mit anderen, bisher nicht berücksichtigten Zahlungen) offen.
Hinweis
Nach § 17 Abs. 1 EStG ist die Veräußerung von "Anteilen an einer Kapitalgesellschaft" steuerpflichtig. Anteile sind u.a. auch "Anwartschaften auf solche Beteiligungen" (§ 17 Abs. 1 Satz 3 EStG), zu denen auch Bezugsrechte auf neue Anteile aufgrund eines Kapitalerhöhungsbeschlusses gehören (zu GmbH-Anteilen vgl. u.a. BFH, Urteil vom 13.10.1993, VIII R 3/89, BStB II 1993, 477). In diesem Urteil ist auch ausgeführt, dass dies selbst dann gilt, wenn sich die Altgesellschafter an der Kapitalerhöhung nicht beteiligen und deshalb ein Bezugsrecht in ihrer Person nicht entsteht. Um einen solchen Verzicht auf die Teilnahme an einer Kapitalerhöhung zugunsten der Neugesellschafter handelt es sich auch im Streitfall.
In diesem Verzicht liegt auch die für eine Veräußerung erforderliche Verfügung über das Bezugsrecht. Die Besonderheit des Falls lag aber darin, dass die weitere Vorraussetzung – der Anspruch auf ein Entgelt als Gegenleistung für den Verzicht – nicht im Jahr der Veräußerung, sondern erst in einem späteren Jahr und auch nur beim Eintritt einer aufschiebenden Bedingung entstehen sollte. Materiell-rechtlich bot der Fall – bei sachgerechter Beurteilung der komplizierten Konstruktion, die die Beteiligten gewählt hatten – insoweit kein besonderes Problem; die Beziehung zwischen Veräußerung und Entgelt kann über das Veranlassungsprinzip befriedigend gelöst werden. Wesentlich schwieriger war die verfahrensrechtliche Frage, ob der für das Jahr der Veräußerung bereits bestandskräftige Einkommensteuerbescheid unter Berücksichtigung des späteren Eintritts der Bedingung noch geändert werden kann.
Der Tatbestand des § 17 EStG wird nach der ständigen Rechtsprechung des BFH mit der Übertra-gung des wirtschaftlichen Eigentums an der Beteiligung erfüllt; die bisher nicht bekannte Tatsache, dass hierfür ein Entgelt zu leisten war bzw. eine aufschiebende Bedingung vereinbart wurde, ist deshalb eine neue Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Damit ist zwar die Veranlagung für das Veräußerungsjahr wieder offen; der Tatbestand des § 17 EStG ist aber vollständig erst mit dem Eintritt der Bedingung für die Zahlung des Entgelts erfüllt. In solchen Fällen, in denen – wie bei § 16 EStG und § 17 EStG – der Steuertatbestand an ein punktuelles Ereignis (Veräußerung) anknüpft, aber der Tatbestand zeitlich gestreckt verwirklicht wird, ist als ...