Leitsatz
Gibt der Inhaber einer Genehmigung zum Betrieb einer Sonderabfalldeponie aufgrund eines Vertrags mit einem Bundesland das Vorhaben auf und erhält er dafür vom Land einen Geldbetrag, liegt ein steuerbarer Umsatz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG vor.
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, Art. 2 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin hatte 1984 eine Genehmigung zur Errichtung einer Sondermülldeponie erworben. Die Rechte daraus übertrug sie auf eine KG, deren Kommanditistin sie war. Wegen zwischenzeitlich eingetretener verschärfter abfallrechtlicher Vorschriften und Änderungen in der Planung der KG sollte die KG aufgrund eines entsprechenden Bescheids der Bezirksregierung die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens beantragen. Während des anschließenden Widerspruchsverfahrens vereinbarten das Land und die Klägerin, dass die KG von der Realisierung des Projekts Abstand und ihren Widerspruch zurücknahm; dafür erhielt sie einen bestimmten Betrag.
FA und FG beurteilten die Zahlung als umsatzsteuerpflichtiges Entgelt.
Entscheidung
Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Leistung an das Land bestand im entgeltlichen Verzicht auf die Durchführung des Vorhabens zur Errichtung und zum Betrieb der Sonderabfalldeponie. Auch ein "Verbrauch" i.S.d. gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems lag vor: Der Verzicht eines Berechtigten auf eine auf öffentlich-rechtlichem Weg nicht mehr entziehbare öffentlich-rechtliche Nutzungsbefugnis gegen Abfindung ist eine sonstige Leistung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft die Abgrenzung von steuerbarem Leistungsentgelt und nichtsteuerbarem Schadenersatz oder Zuschuss.
1. Eine Leistung gegen Entgelt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus:
einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert. Der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein; er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch i.S.d. gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 7.7.2005, V R 34/03, BFH-PR 2005, 459). Die Formel stammt aus der EuGH-Rechtsprechung; das Stichwort "Verbrauch" scheint zur Annahme zu verleiten, die Leistung müsse unmittelbar gegenständlich "verbraucht" werden können. Davon kann nicht die Rede sein, denn auch ein Dulden oder Unterlassen wie z.B. der Verzicht "ganz oder teilweise eine gewerbliche Tätigkeit auszuüben" (vgl. § 3a Abs. 4 Nr. 9 UStG) kann Gegenstand einer entgeltlichen Leistung sein. Notwendige und hinreichende Voraussetzung ist, dass einem identifizierbaren Verbraucher ein Vorteil verschafft wird, der einen Kostenfaktor in der Tätigkeit eines anderen Beteiligten am Wirtschaftsleben bilden könnte.
Bei Leistungen aufgrund eines gegenseitigen Vertrags (vgl. §§ 320 ff. BGB), durch den sich eine Vertragspartei zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen und die andere sich hierfür zur Zahlung einer Gegenleistung verpflichtet, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG regelmäßig erfüllt, falls der leistende Vertragspartner Unternehmer ist. Ob der Leistungsempfänger die Leistung tatsächlich verwendet oder ggf. zu welchem Zweck, ist grundsätzlich unerheblich.
2. Nicht steuerbare Zuschüsse sind Zahlungen, durch die lediglich eine aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemein-politischen Gründen erwünschte Tätigkeit des Zahlungsempfängers gefördert werden soll: kein Entgelt für eine steuerbare Leistung (Beispiele: Aufgabe der Milcherzeugung oder Prämien für die Rodung von Apfelbäumen oder Einschränkung der Kartoffelernte aufgrund gemeinschaftsrechtlicher oder nationaler Vorschriften). Nicht entscheidend ist, ob eine Leistung im allgemeinen Interesse liegt. Ebenso wenig ist von Bedeutung, dass Leistungsempfänger Personen des öffentlichen Rechts sind. Andernfalls wären alle Leistungen und Lieferungen an Gemeinden etc. nicht steuerbar, soweit diese aufgrund spezifischer öffentlichrechtlicher Regelungen tätig sind.
So liegt unzweifelhaft eine steuerbare Grundstückslieferung vor, wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts Land durch Enteignung für den Straßenbau erwirbt. Entscheidend ist allein, ob ein individueller Leistungsempfänger vorhanden ist, der aus der Leistung einen Vorteil zieht, der Gegenstand eines Leistungsaustauschs sein kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 24.8.2006, V R 19/05