Dr. Birger Brandt, Prof. Jürgen Brandt
Leitsatz
Bearbeitet das FA eine verspätet abgegebene Steuererklärung nicht alsbald nach Eingang, ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags jedenfalls dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Verspätung nicht nur geringfügig war und die Veranlagung innerhalb einer angemessenen Zeit (hier: 71 Tage) nach Eingang der Erklärung abschließend gezeichnet worden ist.
Normenkette
§ 102 FGO , § 5 AO , § 109 Abs. 1 Satz 2 AO , § 149 Abs. 2 Satz 1 AO , § 152 Abs. 1 und 2 AO
Sachverhalt
Das FA verlängerte auf Antrag der – durch eine Steuerberatungsgesellschaft vertretenen – Klägerin die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1990 bis zum 28.2.1992 und lehnte weitergehende Fristverlängerungsanträge ab. Nach Eingang der Einkommensteuererklärung am 1.6.1992 unterzeichnete der zuständige Sachbearbeiter den Eingabewertbogen am 10.8.1992. Mit Einkommensteuerbescheid vom 7.9.1992 setzte das FA die Einkommensteuer auf 2 797 DM sowie einen Verspätungszuschlag von 40 DM fest, gegen den die Klägerin erfolglos Einspruch und Klage erhob.
Entscheidung
Die Revision hatte keinen Erfolg. Der mit der Festsetzung des Verspätungszuschlags verfolgte Zweck, die Klägerin künftig zur rechtzeitigen Abgabe der Einkommensteuererklärungen anzuhalten, sei durch den in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO zum Ausdruck kommenden Gesetzeszweck gedeckt. Insbesondere sei die Ermessensausübung nicht deshalb rechtswidrig, weil ab dem Einreichen der Erklärung bis zur Zeichnung der Veranlagung 71 Tage verstrichen seien.
Zwar könne von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abzusehen sein, wenn das Veranlagungsgeschäft durch den verspäteten Eingang der Steuererklärung nicht gestört werde. Im Hinblick auf den präventiven Charakter des Verspätungszuschlags könne aber nicht generell nur auf das laufende "Veranlagungsgeschäft" abgestellt werden, sondern allenfalls dann, wenn im Einzelfall – anders als im streitigen Verfahren – die Präventivwirkung des Verspätungszuschlags nur von untergeordneter Bedeutung sei.
Der Präventivzweck des Verspätungszuschlags lasse allein aufgrund der Tatsache, dass das FA im Einzelfall vor allem wegen Arbeitsüberlastung an einer baldigen Bearbeitung gehindert sei, die Festsetzung eines Verspätungszuschlags grundsätzlich nicht als ermessensfehlerhaft erscheinen (vgl. Schmieszek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 152 AO, Rz. 22.1). Im Übrigen könne aus der Bearbeitungszeit der Steuererklärung im FA bei verspäteter Erklärungsabgabe nicht geschlossen werden, dass dem FA im Zeitpunkt des Ablaufs der Erklärungsfrist ausreichend Arbeit vorgelegen habe und das Veranlagungsgeschäft durch die verspätete Abgabe nicht beeinträchtigt worden sei. Denn im Zeitraum zwischen dem Ablauf der Erklärungsfrist und der tatsächlichen Abgabe der Steuererklärung könnten sich die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend verändern. Abgesehen davon sei das FA grundsätzlich berechtigt, die Reihenfolge der Bearbeitung nicht angeforderter Steuererklärungen unter dem Gesichtspunkt der Effizienz der Steuererhebung einschließlich der Steuererstattung zu bestimmen.
Ob die Festsetzung eines Verspätungszuschlags dann nicht gerechtfertigt sei, wenn die Steuerfestsetzung nach Einreichung der Erklärung erst unverhältnismäßig spät, z.B. nach sechs Monaten, erfolge (Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl. 1996, § 152 Rz. 6), oder wenn die Erklärung erst lange Zeit nach Eingang der geringfügig verspätet abgegebenen Steuererklärung bearbeitet werde (Koch/Scholz, a.a.O., Rz. 12/1; Brockmeyer in Klein, a.a.O., Rz. 23), könne offen bleiben, weil die Steuererklärung im Streitfall nicht nur geringfügig, sondern 92 Tage verspätet abgegeben und nicht lange Zeit nach Eingang der Erklärung, sondern nach 71 Tagen bearbeitet worden sei.
Hinweis
1. Der Verspätungszuschlag dient dazu, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärungen und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Er hat insoweit zugleich repressiven und präventiven Charakter (Begründung zum Entwurf einer Abgabenordnung, BTDrucks VI/1982, S. 129 zu § 97). Voraussetzung für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist, dass der Steuerpflichtige seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgerecht nachgekommen ist (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AO) und seine oder die von ihm zu vertretende Versäumnis eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen nicht entschuldbar erscheint (§ 152 Abs. 1 Sätze 2, 3 AO). Vom Steuerpflichtigen sind zur Vermeidung eines Verspätungszuschlags die nicht aus den Akten ersichtlichen Gründe darzulegen, aus denen sich ergibt, dass das Versäumnis entschuldbar erscheint (Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., 2000, § 152 Rz. 3).
2. Vorrangige Möglichkeit zur Vermeidung eines Verspätungszuschlags ist danach ein Antrag auf Verlängerung der Frist für die Steuererklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 AO. Die obersten Finanzbehörden der Länder haben hierzu in gleich lautenden Erlassen (BStBl I 1991, 78) für den – im Streitfall betroffenen...