Leitsatz
1. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG ist der Vorwegabzug auch dann um 16 % der Summe der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit zu kürzen, wenn der Arbeitgeber Leistungen für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers während des Veranlagungszeitraums nur zeitweise erbringt.
2. Der Vorwegabzug ist auch dann zu kürzen, wenn der Arbeitgeber nur Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung leistet.
Normenkette
§ 3 Nr. 62 EStG , § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Der Kläger erzielte im Streitjahr 1995 Einkünfte aus selbstständiger Arbeit als Rechtsanwalt. Die Klägerin (Ehefrau) war als Sprachlehrerin selbstständig tätig und erzielte außerdem Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit in der Kanzlei des Klägers (bis 30.6.1995) sowie als französische Beamtin beim Institute Française (CC). Sowohl der Kläger als auch das CC führten für die Klägerin bis zum 30.6.1995 Sozialversicherungsbeiträge an inländische Sozialversicherungsträger ab. Mit der Beendigung ihres Dienstverhältnisses beim Kläger unterlag die Klägerin als französische Beamtin nur noch den sozialversicherungsrechtlichen Rechtsvorschriften Frankreichs und damit nicht mehr der inländischen Sozialversicherungspflicht.
Das FA erkannte bei der Veranlagung der Kläger von den geltend gemachten Vorsorgeaufwendungen i.H.v. 34.009 DM lediglich 12.781 DM als Sonderausgaben an.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das FG kürzte den Vorwegabzug nur um 16 % der hälftigen Einnahmen der Klägerin aus nichtselbstständiger Arbeit.
Entscheidung
Der BFH hob auf die Revision des FA das finanzgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab. Der Vorwegabzug sei nicht nur zeitanteilig, sondern in voller Höhe zu kürzen, auch wenn der Arbeitgeber nicht während des ganzen Jahres Zukunftssicherungsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht habe.
Hinweis
1. Im Jahr 1995 konnten zusammen veranlagte Eheleute Vorsorgeaufwendungen mit folgenden Höchstbeträgen abziehen:
- Grundhöchstbetrag von 5.220 DM;
- Vorwegabzug von 12.000 DM;
- Hälftiger Höchstbetrag bis 2.610 DM.
Dabei war der Vorwegabzug um 16 % der Summe der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherungsleistungen des Steuerpflichtigen Leistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind.
2. Der Vorwegabzug soll insbesondere selbstständig Tätigen einen Ausgleich dafür bieten, dass diese ihre Beiträge zur Zukunftssicherung in vollem Umfang selbst aufbringen müssen, während bei nichtselbstständig Tätigen der Arbeitgeber zur Beitragsleistung kraft Gesetzes verpflichtet ist und der Arbeitgeberanteil nicht vom Arbeitnehmer zu versteuern ist.
Das Gesetz räumt darum zunächst allen Steuerpflichtigen den Vorwegabzug ein, kürzt diesen dann aber bei Arbeitnehmern um den gesetzlichen Arbeitgeberanteil.
3. Voraussetzung für die Kürzung ist allerdings nicht, dass der Arbeitgeber während des gesamten Jahres Beiträge für den Arbeitnehmer erbracht hat. Das Gesetz schreibt nämlich die Kürzung vor, "wenn" Zukunftssicherungsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden – und nicht "soweit" solche erbracht werden. Durch die Bezugnahme auf § 3 Nr. 62 EStG soll also der betroffene Personenkreis umschrieben, nicht die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs begrenzt werden.
4. Diese Auslegung wird durch die Gesetzesgeschichte gestützt. Bis einschließlich VZ 1998 gab es nämlich die zeitanteilige Kürzung des Vorwegabzugs ("Anteil des Jahresbetrags, der auf die Dauer der Beschäftigung entfiel"). Mit dem StRefG 1990 wollte der Gesetzgeber aber ausdrücklich auf die komplizierte zeitanteilige Berechnung der Kürzungsbeträge verzichten; er hat deshalb aus Vereinfachungsgründen die pauschale Kürzung des Vorwegabzugs eingeführt.
Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG muss dem Gesetzgeber im Besteuerungsverfahren Raum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen eingeräumt werden.
5. Eine Vorlage an den EuGH hielt der BFH im Streitfall nicht für erforderlich, da die Klägerin als französische Beamtin steuerrechtlich nicht schlechter behandelt wird als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.10.2002, XI R 75/00