Leitsatz
Aufwendungen einer Steuerpflichtigen, die sich im Erziehungsurlaub befindet, können vorab entstandene Werbungskosten sein. Dabei bedarf der berufliche Verwendungsbezug der Aufwendungen – wenn er sich nicht bereits aus den Umständen von Umschulungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen ergibt – einer ins Einzelne gehenden Darlegung.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG , § 12 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin – ebenso wie ihr Ehemann, der Kläger, von Beruf Lehrer – befand sich im Streitjahr 1995 im Erziehungsurlaub zur Betreuung ihres Kindes. Im August 1997 nahm sie ihre Berufstätigkeit wieder auf. Die Klägerin machte u.a. Aufwendungen für Fachliteratur, für Kontoführung, insbesondere für ein häusliches Arbeitszimmer als Werbungskosten geltend.
Das FA sah die Aufwendungen der Klägerin als Kosten für die Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG an und ließ diese (nur) mit dem Höchstbetrag von 900 DM als Sonderausgaben zum Abzug zu. Das FG gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Die Annahme vorab entstandener Werbungskosten sei (auch) im Streitfall rechtlich möglich. Es reiche allerdings die bloße Behauptung einer erwerbsbezogenen Veranlassung nicht aus. Das FG habe sich eine eigene Überzeugung von der Berufsbezogenheit der Aufwendungen (z.B. berufliche Nutzung des Arbeitszimmers) zu bilden. Die erforderlichen Tatsachenfeststellungen habe das FG im Einzelnen nachzuholen.
Hinweis
1. Mit dem vorliegenden Besprechungsurteil führt der VI. Senat seine geänderte Rechtsprechung fort, wonach Bildungskosten, die Berufswissen vermitteln (vorab entstandene) Werbungskosten (ggf. Betriebsausgaben) darstellen. Auf die ausführlichen Besprechungen zu den Grundsatzurteilen von 4.12.2002, VI R 120/01, BFH-PR 2003, 97 (Umschulung), vom 17.12.2002, VI R 137/01, BFH-PR 2003, 98 (berufsbegleitendes erstmaliges Hochschulstudium), vom 27.5.2003, VI R 33/01, BFH-PR 2003, 345 (erstmalige Berufsausbildung) sowie vom 29.4.2003, VI R 86/99, BFH-PR 2003, 296 (zur Höhe der abziehbaren Erwerbsaufwendungen bei beruflichen Bildungsmaßnahmen) wird hingewiesen.
2. Bereits in den drei erstgenannten Entscheidungen hatte der BFH klargestellt, dass aus rechtssystematischen Gründen der Werbungskostenabzug Vorrang vor dem Abzug als Sonderausgaben hat. Dies muss konsequenterweise auch dann gelten, wenn ein Fall der "Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf" (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 2. Alt. EStG) vorliegt. Demnach können (vorab entstandene) Werbungskosten auch dann vorliegen, wenn sich – wie hier – eine Steuerpflichtige im Erziehungsurlaub befindet und sie sich durch Weiterbildung in ihrem erlernten Beruf auf dem Laufenden halten will.
3. Der BFH stellt jedoch im Streitfall klar, dass die bloße Behauptung des Steuerpflichtigen, bestimmte Aufwendungen seien aus beruflichem Anlass entstanden, nicht ausreicht. Anders als bei Umschulungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen, bei denen sich regelmäßig bereits aus den Umständen der berufliche Zusammenhang plausibel ergibt, ist hier erforderlich, dass der Steuerpflichtige die von ihm durchgeführten Tätigkeiten im Einzelnen konkretisiert, damit der berufliche Zusammenhang beurteilt werden kann.
4. Fraglich bleibt, ob angesichts der nunmehr vorliegenden Rechtsprechung überhaupt noch Anwendungsfälle für die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG übrig bleiben. Schon nach bisheriger, jetzt überkommener Rechtsprechung war es im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG erforderlich, dass eine nachhaltige berufsmäßige Ausübung der erlernten Fähigkeiten zur Erzielung von Einkünften angestrebt wurde (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 22.9.1995, VI R 13/93, BStBl II 1996, 8). In derartigen Fällen besteht nunmehr jedoch die Möglichkeit des Werbungskostenabzugs.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.7.2003, VI R 137/99