Leitsatz
1. Kinder, die einen Freiwilligendienst i.S. der Verordnung (EU) Nr. 1288/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2013 zur Einrichtung von "Erasmus+" leisten, werden steuerrechtlich nur berücksichtigt, wenn der Dienst die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG i.V.m. der Verordnung erfüllt.
2. Ein Freiwilligendienst im Rahmen des Programms "Erasmus+" liegt nur bei der Teilnahme an einem von einer Nationalen Agentur anerkannten Projekt vor. Nicht ausreichend ist es, wenn die Organisation, bei der das Kind seinen Dienst leistet, als Veranstalter für das Programm "Erasmus+" registriert und akkreditiert ist.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG, Nr. 1288/2013 VO
Sachverhalt
Der Kläger ist der Vater der Tochter T, die ihre Schulausbildung im Juli 2018 beendete und im September 2018 einen Freiwilligendienst bei der Organisation "X" in Großbritannien begann. Die Familienkasse hob die Kindergeldbewilligung ab August 2018 auf.
Den Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid wies die Familienkasse als unbegründet zurück, da nicht nachgewiesen sei, dass es sich um einen Freiwilligendienst i.S.d. Programms "Erasmus+" handele.
Die Klage hatte Erfolg (Sächsisches FG, Urteil vom 17.9.2019, 2 K 1701/18 (Kg), Haufe-Index 14204764). Das FG hielt es für ausreichend, dass "X" ein von der Europäischen Kommission anerkannter Veranstalter für das Programm "Erasmus+" ist. Ein privatrechtlicher Fördervertrag, wie von der DA‐KG 2019 vorgesehen, sei nicht erforderlich.
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse hatte Erfolg: Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache zurück, damit geklärt wird, ob T tatsächlich an einem geförderten Programm teilgenommen hat und nicht in anderer Weise bei "X" tätig geworden ist.
Hinweis
1. Volljährige Kinder werden wegen eines Freiwilligendienstes nur berücksichtigt, wenn dieser die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG i.V.m. der dort genannten Verweisungsnorm erfüllt.
2. Mit der hier maßgeblichen VO Nr. 1288/2013 wurde das Programm "Erasmus+" eingerichtet. Die VO enthält eine Beschreibung der verschiedenen Programme, ihrer Zielsetzungen und der jeweiligen Organisation der Maßnahmen. Ein Freiwilligendienst i.S.d. VO Nr. 1288/2013 (EFD) setzt voraus, dass der Freiwillige im europäischen Ausland seine Tätigkeit in einem geförderten Projekt erbringt, das im Rahmen von "Erasmus+" durch eine Nationale Agentur oder Exekutivagentur genehmigt wurde.
3. Das FG hatte es für ausreichend erachtet, dass die Organisation, bei der das Kind seinen Dienst leistet, als Veranstalter für das Programm "Erasmus+" registriert und akkreditiert ist. Registrierung und Akkreditierung sind aber lediglich die ersten Schritte zum Zugang; sie ermöglichen der Einrichtung die Bewerbung für eine Teilnahme an einem EFD‐Projekt. Hat der Freiwillige die Zusage einer akkreditierten Aufnahmeorganisation erreicht, so muss sich spätestens danach das Antrags- und Genehmigungsverfahren durch die Organisation anschließen, deren Voraussetzungen sich aus der VO Nr. 1288/2013 sowie verbindlichen Durchführungsbestimmungen ergeben.
4. Die Registrierung und Akkreditierung des Projektanbieters führt zu keiner Umqualifizierung von Tätigkeiten, die bereits begrifflich keinen Freiwilligendienst darstellen. Erforderlich ist stets ein Dienst, der im Rahmen eines von der entsprechenden Nationalagentur genehmigten Projekts erbracht wird.
Ein Freiwilligendienst liegt begrifflich insbesondere nicht vor bei
- einer gelegentlichen, unstrukturierten oder in Teilzeit ausgeübte Freiwilligentätigkeit,
- einem Unternehmenspraktikum,
- einer bezahlten Tätigkeit,
- einer Aktivität zu Erholungs- und touristischen Zwecken,
- Sprachkursen oder
- Maßnahmen zur Ausnutzung billiger Arbeitskräfte.
Derartige Aktivitäten begründen daher auch dann nicht die Annahme eines Freiwilligendienstes, wenn sie für eine akkreditierte Organisation erbracht werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 1.7.2020 – III R 51/19