Kommentar
Ob die gesetzlich vorgesehene Höhe der Steuerzinsen (§§ 233 ff. AO) angesichts des aktuellen Zinsniveaus noch als verfassungskonform angesehen werden kann, ist umstritten, weshalb Zinsfestsetzungen – wenn verfahrensrechtlich möglich – vorläufig durchzuführen sind.
Die Finanzverwaltung hat mit BMF-Schreiben v. 2.5.2019 im Einzelnen
- zur vorläufigen Zinsfestsetzung von erstmaligen Zinsfestsetzungen,
- geänderten/berichtigten Zinsfestsetzungen
- mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung verbundenen Zinsfestsetzungen
- Einspruchsfällen
- rechtshängigen Fällen sowie
- einer möglichen Aussetzung der Vollziehung
Stellung genommen.
Erstmalige, geänderte oder berichtigte Zinsfestsetzungen
Erstmalige Zinsfestsetzungen, in denen der Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit 0,5 % pro Monat angewendet wird, werden hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes vorläufig gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO durchgeführt.
Entsprechendes gilt bei geänderten oder berichtigten Zinsfestsetzungen, sofern die Zinsfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt ist und geändert oder der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wird sowie bei vorläufigen Zinsfestsetzungen, sofern sie in vollem Umfang vorläufig ergangen sind.
Bei Änderung einer teilweise vorläufig ergangenen Zinsfestsetzung sowie bei Änderung der Zinsfestsetzung nach anderen verfahrensrechtlichen Änderungsvorschriften (§§ 129, 172 ff. AO) ist die geänderte Zinsfestsetzung dagegen nur vorläufig vorzunehmen, soweit die Änderung reicht.
Mit vorläufigen Steuerfestsetzungen verbundene Zinsfestsetzungen
Werden Zinsfestsetzungen sowohl bei erstmaliger als auch bei geänderter Zinsfestsetzung mit vorläufigen Steuerfestsetzungen verbunden, in denen der Erläuterungstext gem. BMF-Schreiben v. 15.1.2018 (IV A 3, S 0338/17/10007, BStBl 2018 I S. 2) ausgegeben wird, erstreckt sich die Vorläufigkeit der Zinsfestsetzung entweder auf die gesamte Zinsfestsetzung oder soweit die Änderung reicht.
Einsprüche gegen die Zinsfestsetzung
Ist die Zinsfestsetzung nicht vorläufig ergangen und wird mit dem Einspruch die Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe vor dem Hintergrund der anhängigen Verfahren geltend gemacht, ruht das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO. Umfasst der Einspruch die gesamte Zinsfestsetzung und wird die Zinsfestsetzung außerhalb dieses Einspruchsverfahrens wegen der Änderung der Steuerfestsetzung nach § 233a Abs. 5 AO geändert, ist die Zinsfestsetzung hinsichtlich der Zinshöhe vorläufig vorzunehmen. Dies hat zur Folge, dass mit der Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerks das Einspruchsverfahren gegen die Zinsfestsetzung dann grundsätzlich erledigt ist, da es insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt (dem nunmehr mit dem Vorläufigkeitsvermerk Rechnung getragen wird). Die Finanzverwaltung wird in derartigen Fällen dennoch gegen die Vorläufigkeit der Zinsfestsetzung eingelegte Einsprüche zurückweisen.
Ist Gegenstand des Einspruchsverfahrens eine geänderte Zinsfestsetzung, die der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO unterliegt, und wird die Zinsfestsetzung außerhalb dieses Einspruchsverfahrens wegen der Änderung der Steuerfestsetzung nach § 233a Abs. 5 AO geändert, ist die Zinsfestsetzung hinsichtlich der Zinshöhe teilweise vorläufig vorzunehmen. Mit der Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerks ist das Einspruchsverfahren dann ebenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich erledigt.
Rechtshängige Fälle
Ist ein Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe bereits bei einem FG oder dem BFH anhängig, sind die angefochtenen Zinsfestsetzungen insoweit nur auf Antrag des Steuerpflichtigen nachträglich vorläufig vorzunehmen (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a i. V. m. § 132 AO). Wird die Zinsfestsetzung aus außerhalb des finanzgerichtlichen Verfahrens liegenden Gründen geändert, ohne dass der Steuerpflichtige eine vorläufige Festsetzung beantragt hat, ist die Zinsfestsetzung ohne Nebenbestimmung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorzunehmen. Die geänderte Zinsfestsetzung wird dann nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens.
Aussetzung der Vollziehung
Bereits mit Schreiben v. 14.12.2018 hatte das BMF auf die BFH, Beschlüsse v. 25.4.2018 (IX B 21/18) und v. 3.9.2018 (VIII B 15/18) reagiert und die Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2012 zugelassen.
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 2.5.2019, IV A 3 - S 0338/18/10002