LfSt Bayern v. 10.11.2008, S 0338.1.1 - 5/12 St 41
1. Allgemeines
Das Verfahren zur Anbringung von Vorläufigkeitsvermerken ist im BMF-Schreiben vom 27.6.2005, geändert durch BMF-Schreiben vom 10.11.2006 (beide Schreiben sowie konsolidierte Fassung im AIS: AO/Vorläufigkeit) geregelt.
2. Vorläufigkeitsvermerke gemäß dem BMF-Schreiben vom 20.6.2008 und vom 14.5.2008 (AIS: AO/Vorläufigkeit)
Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig vorzunehmen:
- Anwendung des § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 2, Satz 3 letzter Halbsatz, § 4 Abs. 5a EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 (Entfernungspauschale)
- Nichtabziehbarkeit von Steuerberatungskosten als Sonderausgaben (Aufhebung des § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG durch das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm vom 22.12.2005, BGBl 2005 I S. 3682)
- Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a EStG) – für Veranlagungszeiträume ab 2005
- Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005
- Anwendung des § 24b EStG (Entlastungsbetrag für Alleinerziehende) für Veranlagungszeiträume ab 2004
- Anwendung des § 32 Abs. 7 EStG (Haushaltsfreibetrag) für die Veranlagungszeiträume 2002 und 2003
- Höhe des Freibetrags zur Abgeltung des Sonderbedarfs eines sich in Berufsausbildung befindenden auswärtig untergebrachten, volljährigen Kindes (§ 33a Abs. 2 EStG) für Veranlagungszeiträume ab 2002
- Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 1 ist sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen sowie sämtlichen Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften für Veranlagungszeiträume ab 2007 beizufügen. In diesen Fällen ist abweichend von Abschnitt IV des BMF-Schreibens vom 27.6.2005 (BStBl 2005 I S. 794) bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auf Antrag des Steuerpflichtigen Aussetzung der Vollziehung zu gewähren (vgl. BMF-Schreiben vom 4.10.2007 (AIS: AO, Vorläufigkeit). Der Vorläufigkeitsvermerk umfasst auch die Frage, ob die Höhe der Entfernungspauschale verfassungsgemäß ist. Er umfasst auch mittelbare Wirkungen, wie beispielsweise bei der Prüfung des Überschreitens von Einkunftsgrenzen (z.B. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG).
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 2 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2006 beizufügen.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 4 erfasst sämtliche Leibrentenarten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG. Der Vorläufigkeitsvermerk erstreckt sich auf sämtliche Fälle der sog. „Kohortenbesteuerung”, auch wenn dem Revisionsverfahren X R 15/07 der Fall eines ehemals freiberuflich tätigen Rechtsanwalts mit Leibrentenbezügen aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und somit nicht ein „typischer Arbeitnehmerfall” zugrunde liegt.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 5 umfasst nur die Frage, ob § 24b EStG Ehegatten in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Er ist daher Einkommensteuerfestsetzungen nur beizufügen, wenn ein Fall des § 26 Abs. 1 EStG und der Prüfung der Steuerfreistellung nach § 31 EStG vorliegt.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 6 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen mit einer Prüfung der Steuerfreistellung nach § 31 EStG beizufügen. Er umfasst sowohl die Frage, ob die Abschmelzung des Haushaltsfreibetrags (§ 32 Abs. 7 EStG, ggf. in Verbindung mit § 52 Abs. 40a EStG) verfassungswidrig ist, als auch die Frage, ob § 32 Abs. 7 EStG Ehegatten in verfassungswidriger Weise benachteiligt.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 8 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen sowie sämtlichen Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften beizufügen. Aufgrund einer personellen Anweisung kann er auch Körperschaftsteuerfestsetzungen beigefügt werden.
3. Erledigte Verfahren
Vgl. hierzu die Liste der erledigten Vorläufigkeitsvermerke nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO (AIS: AO/Vorläufigkeit).
4. Umfang der Vorläufigkeitsvermerke nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO
Nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens vor dem EuGH, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht (BFH) ist.
Somit ergibt sich die Reichweite eines sog. Katalogvorläufigkeitsvermerks bereits aus der gesetzlichen Vorgabe des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO: der Vorläufigkeitsvermerk kann nur Musterverfahren erfassen, bei denen es um die Frage der Konfo...