Leitsatz
Dem Großen Senat werden gem. § 11 Abs. 3 und 4 FGO die folgenden Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Kann der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlust bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen?
2. Falls die 1. Rechtsfrage bejaht wird: Steht im Fall einer Erbengemeinschaft der Abzug nur demjenigen zu, der die Einkunftsquelle(n) fortführt, die den Verlust verursacht hat (haben)? Gelten für den Fall einer Sondererbfolge in die Verlust verursachende Einkunftsquelle Besonderheiten?
Normenkette
§ 10d EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist Landwirt und ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich gem. § 4 Abs. 1 EStG. Sein im Jahr 1983 verstorbener Vater hatte ihn testamentarisch zum alleinigen Hoferben bestimmt. Der Erbteil des Klägers am hoffreien Vermögen beträgt 10 %, die restlichen Erbteile fallen auf seine Mutter und vier Geschwister.
Das FA ließ von den beim Erblasser in den Jahren 1980 und 1982 angefallenen Verlusten beim Kläger lediglich einen Abzug von 10 % zu. Das FG wies die Klage, mit der der Kläger geltend machte, ihm als Hoferben stehe der Verlustabzug allein und in voller Höhe zu, mit der Begründung ab, dass das Recht auf Verlustabzug nicht vererblich sei.
Entscheidung
Der XI. Senat ist ebenfalls der Auffassung, dass der vom Erblasser nicht ausgenutzte Verlustabzug (§ 10d EStG) nicht auf den/die Erben übergeht. Da er mit einer solchen Entscheidung, die im Streitfall zur Zurückweisung der Revision führen würde, von Entscheidungen des I. und des VIII. Senats abweichen würde und diese Senate der Abweichung nicht zugestimmt haben, legt der XI. Senat die im Leitsatz formulierten Rechtsfragen dem Großen Senat des BFH zur Entscheidung vor.
Hinweis
1. Diese Vorlage hat eine lange und wechselvolle Vorgeschichte (siehe dazu die Praxis-Hinweise zum Beschluss vom 10.4.2003, XI R 54/99, BFH-PR 2003, 404). Nachdem der I. und der VIII. Senat der Divergenzanfrage des XI. Senats nicht zugestimmt haben (vgl. dazu BFH, Beschluss vom 22.10.2003, I ER -S- 1/03, BFH-PR 2004, 92), legt nun der XI. Senat die Frage der Vererblichkeit des Verlustabzugs dem Großen Senat des BFH zur Entscheidung vor.
2. Der XI. Senat legt in seiner umfangreichen Begründung zunächst dar, dass es für die Vererblichkeit des Verlustabzugs an einer gesetzlichen Grundlage fehlt und dass die Annahme einer Vererblichkeit mit den tragenden Prinzipien des Einkommensteuerrechts nicht in Einklang steht. Aus der vielschichtigen Darstellung seien hier nur einige Argumente angeführt:
Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 10d EStG lässt sich eine Aufwandsübertragung vom Erblasser auf den Erben ableiten. Diese Vorschrift zielt darauf ab, die Besteuerung periodenübergreifend an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auszurichten und einer mehrjährigen Durchschnittsbesteuerung anzunähern. § 10d EStG ist daher personenbezogen auszulegen und ermöglicht lediglich die Durchbrechung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung, bietet aber keine Rechtsgrundlage für die Übertragung von Erblasseraufwand auf den Erben.
Das Einkommensteuerrecht beruht auf den Grundsätzen der Individualbesteuerung und der Besteuerung nach der persönlichen "Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen" (BVerfG). Die Einkünfte i.S.d. § 2 EStG werden subjektbezogen ermittelt. Dabei ist die personale Anknüpfung der Einkommensteuer das technische Mittel, die Beachtung des Verfassungsgebots nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit umzusetzen. Die individuelle Leistungsfähigkeit ist mit der Person des Steuerpflichtigen unlösbar verknüpft, geht mit dessen Tod unter und kann deshalb nicht auf den Erben übertragen werden.
3. Im zweiten Teil seiner Begründung setzt sich der XI. Senat mit den Argumenten auseinander, die der I. Senat zur Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsprechung angeführt hat. Diese Rechtsprechung sei seit langem umstritten, weshalb der Gesichtspunkt der Verlässlichkeit der Rechtsprechung nicht trage. Rechtssicherheit und Vertrauen könne letztlich nur durch eine als richtig erkannte Rechtsprechung gewährleistet werden.
4. Im Vorlagefall handelt es sich bei dem vererbten Betrieb, in dem die Verluste des Erblassers entstanden sind, um einen Hof, der nach der Höfeordnung vererbt worden ist (vgl. dazu BFH, Urteil vom 26.3.1987, IV R 20/84, BStBl II 1987, 561). Infolgedessen bilden der Hof und das hoffreie Vermögen des Erblassers zwei Nachlassteile, die unmittelbar zum einen auf den Hoferben und zum anderen auf die Erbengemeinschaft übergegangen sind. Sollte der Große Senat die Vererblichkeit des Verlustabzugs bejahen, wird er darum die weitere Frage beantworten müssen, ob der Verlustabzug in voller Höhe dem Hoferben zusteht oder ob er den Verlust nur anteilig abziehen kann und wie dieser Anteil zu ermitteln ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Vorlegungsbeschluss vom 28.07.2004, XI R 54/99