Leitsatz
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Abschluss der Prüfungen gem. §§ 176, 177 InsO dürfen grundsätzlich keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, die die Höhe der zur Insolvenztabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen können.
Normenkette
§ 87 InsO , § 174 f. InsO , § 240 ZPO
Sachverhalt
Der Kläger war Insolvenzverwalter über das Vermögen der C GmbH (Insolvenzschuldnerin). Am 7. bzw. 8.6.2000 erließ das FA an den Kläger adressierte und die Insolvenzschuldnerin betreffende KSt-Bescheide für die Jahre 1998 und 1999 mit Feststellungen gem. § 47 Abs. 1 und 2 KStG a.F. und zu den verbleibenden Verlustabzügen zur KSt auf den Schluss der Jahre 1998 und 1999.
Das FG hob diese Bescheide auf. Es vertrat unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 2.7.1997, I R 11/97 (BStBl II 1998, 428) die Auffassung, die Bescheide hätten wegen des Insolvenzverfahrens nicht erlassen werden dürfen und seien deshalb unwirksam.
Entscheidung
Der BFH hat dies bestätigt. Im Einzelnen ist auf die Praxis-Hinweise Bezug zu nehmen.
Hinweis
1. Ist ein Insolvenzverfahren eröffnet, dann ist jeder Gläubiger gehalten, seine Forderungen zur Tabelle anzumelden. Das gilt grundsätzlich auch für das FA. Etwaige Steuerverfahren und Klageverfahren vor dem FG (naturgemäß auch dem BFH) werden kraft Gesetzes (§ 240 ZPO i.V.m. § 155 FGO bzw. analog) unterbrochen; derartige Verfahren werden also sozusagen "angehalten". Das gilt solange, bis der Insolvenzverwalter das Verfahren wieder aufnimmt.
2. Das hat zur Folge, dass das FA keine Steuerbescheide mehr in die Welt setzen darf und sich nicht mehr aus eigener Kraft Titel gegen den Gemeinschuldner (oder den Insolvenzverwalter) verschaffen darf. Das Insolvenzverfahren hat gegenüber dem allgemeinen Abgabenrecht Vorrang (§ 87 InsO). Während diese Rechtslage für Steuerfestsetzungen klar und auch seitens der Finanzverwaltung weitestgehend akzeptiert ist, verhält sich diese nach wie "obstinat", was Feststellungsbescheide anbelangt.
3. Auch dazu stellt der BFH nunmehr aber (nochmals, siehe bereits BFH, Urteil vom 2.7.1997, I R 11/97, BStBl II 1998, 428; damals allerdings noch zum Konkursrecht) definitiv fest: Besteht auch nur die entfernteste Möglichkeit, dass die Feststellung sich auf anzumeldenden Steuern auswirken kann, dann ist auch der Erlass solcher Feststellungsbescheide durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestoppt. Ob sich die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen dann tatsächlich auf anzumeldende Steuerforderungen auswirken oder nicht, ist unbeachtlich. Deshalb durften im Urteilsfall weder Feststellungen nach § 47 KStG a.F. noch Feststellungen verbleibender Verlustvorträge ergehen.
4. Lediglich dann, wenn sich die Feststellung ausschließlich auf Masseforderungen bezieht, verhält es sich naturgemäß anders. Dann sind keine anzumeldenden Forderungen betroffen. Ggf. müsste sich eine solche Einschränkung auf Masseforderungen explizit aus dem Bescheid ergeben, um hier Klarheit zu schaffen.
Und auch dann, wenn die Feststellung sich für den Insolvenzverwalter als vorteilhaft herausstellt (z.B. bei Verlustrückträgen oder um Vorauszahlungen herabsetzen lassen zu können) und er deshalb eine solche Feststellung ausdrücklich beantragt, kann eine Feststellung zulässig sein. Der BFH brauchte solches nicht zu entscheiden, hat dies aber angedeutet.
5. Beachten Sie, dass Nämliches für den Fall gilt, dass das Insolvenzverfahren vom Amtsgericht noch nicht eröffnet, sondern dass stattdessen zunächst ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Gemeinschuldners übergeht (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Auch für diesen Fall bestimmt § 240 Satz 2 ZPO (i.V.m. § 155 FGO) die Unterbrechung des Prozessverfahrens. Gleiches gilt für das abgabenrechtliche Verwaltungsverfahren.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.12.2002, I R 33/01